Der strittige Platzverweis für Mo Dahoud dominiert nach der Dortmunder Niederlage in Mönchengladbach die Diskussionen. Dabei hat die Mannschaft tiefgreifendere Probleme. Warum der BVB auch in dieser Saison höchstens Vizemeister wird.
Vielleicht hat Mo Dahoud dem BVB sogar einen Gefallen getan. Seine Gelb-Rote Karte nach einem Abwinken gegen Schiedsrichter Deniz Aytekin wird wahrscheinlich noch bis in die neue Woche erbittert diskutiert werden. Ob sie nun berechtigt war, weil Dahoud gegenüber dem Referee das „Mindestmaß an Respekt“ vermissen ließ, wie Aytekin später beklagte. Oder aber viel zu hart, wie fast alle Dortmunder unisono urteilten, weil der Delinquent doch nur einmal und nicht zweimal abgewunken hätte und zudem offenbar für ein Vorvergehen des Mitspielers Raphael Guerreiro in Sippenhaft genommen wurde.
Letztlich hat es Abwehrchef Mats Hummels zwar gewohnt schlaumeierisch, aber durchaus treffend zusammengefasst: „Es ist doof, dem Schiedsrichter die Chance zu geben, eine Fehlentscheidung zu treffen.“ Fraglich ist allerdings, ob der BVB, der zum Zeitpunkt des Platzverweises bereits im Rückstand lag, das Spiel mit elf Akteuren noch gedreht hätte.
Dass den Dortmundern die kurzfristig verletzten Erling Haaland und Marco Reus an allen Ecken und Enden fehlten, war nämlich schon zu diesem Zeitpunkt zu sehen. Und damit zurück zum Punkt, wieso die allemal dämliche Aktion von Dahoud etwas Gutes im Schlechten hatte: Dass nämlich der hitzige Streit um seine Hinausstellung beinahe alle Aufmerksamkeit absorbierte und den Blick darauf verstellte, dass Borussia Dortmund ohne seine beiden Rädelsführer im Angriff plötzlich wie eine recht durchschnittliche Fußballmannschaft aussah.
Geblendet vom spektakulären Dortmunder Offensivspiel und der Haalandschen Urgewalt hatten manche in den letzten Wochen schon einen so spannenden Meisterschaftskampf frohlockt, wie ihn zuletzt die Nachkriegsgeneration erleben durfte – dabei generös unter den Tisch fallen lassend, dass sich der BVB hinten zum Teil Dinger einschenken ließ, die eher an Sunday League als an Champions League erinnerten. In Mönchengladbach sah es nun umgekehrt aus: Während sich die Dortmunder, egal ob zu elft oder zehnt, hinten nach Kräften wehrten, war der Haaland- und Reus-lose Sturm nicht mehr als ein laues Lüftchen.
Selbstredend steht außer Frage, dass der Dortmunder Kader eine Ansammlung von Hochbegabten ist. Die indes in ihrer Mehrzahl noch ziemlich jung und damit anfälliger für Formschwankungen sind als ähnlich talentierte Spieler, die bereits ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben. Zumal die Krux bei den Jungspunden ist, dass man nur schlecht einschätzen kann, wie ihre weitere Entwicklung verlaufen wird. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber nicht aus jedem Jahrhunderttalent wird später auch ein Jahrhundertfußballer.
Dass diese Einschätzung für jemanden wie Erling Haaland nur bedingt gilt, ist klar, wenngleich auch in seinem Fall erst mal abgewartet werden muss, ob er auf Jahre hinaus den Weltfußball dominieren wird. Auch Jude Bellingham wird seinen Weg machen, doch viele andere Supertalente wie der derzeit verletzte Gio Reyna, Reinier oder Youssoufa Moukoko sind im Moment genau das: Supertalente, bei denen sich noch zeigen muss, ob aus ihnen zukünftige Superstars werden.
Letzterer ist dafür vielleicht das anschaulichste Beispiel. Als der damals 15-Jährige in der A‑Junioren-Bundesliga alles zu Klump schoss, hätte viele am Borsigplatz am liebsten eine Uhr aufgestellt, auf der abzulesen war, wann der Typ endlich 16 würde, um gleichermaßen die Gegner in der Bundesliga und Champions League filetieren zu dürfen. Wer Youssoufa Moukoko an diesem Spieltag in Mönchengladbach beobachtete, der sah einen immer noch offensichtlich Minderjährigen, der ohne Frage ziemlich gut Fußball spielen kann, aber definitiv damit überfordert war, im Dortmunder Angriff im Alleingang die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Weil es in der Mannschaft außerdem eine Reihe von Spielern gibt, die entweder zehn Prozent zu langsam (Hummels) oder zehn Prozent zu unbeherrscht (Dahoud) oder zehn Prozent zu verspielt sind (Julian Brandt), haben die Borussen wohl auch in dieser Saison wieder ein paar entscheidende Defizite gegenüber den Bayern. Nur mal angenommen, bei denen würden kurzfristig Robert Lewandowski und Thomas Müller ausfallen. Wäre auch schmerzhaft, keine Frage, dennoch wären die Folgen mutmaßlich milder als bei einem BVB ohne Haaland und Reus.
Die gute Nachricht ist: Sollten die beiden nicht längerfristig ausfallen, haben die Dortmunder solide Chancen auf die Vizemeisterschaft. Die schlechte: Mit der Spannung im Meisterkampf wird es wahrscheinlich auch diesmal nichts werden. Selbst wenn Deniz Aytekin beim nächsten Mal Gnade vor Recht ergehen lässt.