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Wer auch immer in den ver­gan­genen zwei Wochen die Fuß­ball­welt igno­riert haben mag, der konnte am ver­gan­genen Sonntag ver­mut­lich seinen Augen nicht trauen. Fans von Man­chester United blo­ckierten den Bus ihrer Mann­schaft, fielen ins leere Sta­dion ein und sorgten für eine Absage des Spiels gegen Liver­pool. Nicht weniger absurd erschien die Sze­nerie rund um die Kom­men­ta­toren von Sky“ im Sta­dion, nament­lich Jamie Car­ragher. Zunächst plau­derten die Ein­dring­linge mit der Liver­pool-Legende, danach ver­tei­digte Car­ragher die Man United-Anhänger vor lau­fender Kamera und nannte den zuge­schal­teten Mode­rator bei einer kri­ti­schen Nach­frage einen Anwalt des Teu­fels“. Die Riva­lität zwi­schen Man United und Liver­pool ist eine der schärfsten im eng­li­schen Fuß­ball, Car­ragher gilt in Man­chester nor­ma­ler­weise als Feind­bild.

Doch die ver­gan­genen Wochen haben so manche Usancen in Eng­land auf den Kopf gestellt: Aus­löser waren ins­be­son­dere die Pläne der Ver­eins­be­sitzer, eine in sich geschlos­sene Eli­te­liga zu gründen und sich von der Pre­mier League abzu­kop­peln. Seither bela­gern wütende Fans die Sta­dien, um ihr Miss­fallen gegen­über den aus ihrer Sicht ent­rückten Ent­schei­dern aus­zu­drü­cken – bei Chelsea, Liver­pool, Arsenal, aber eben auch bei Man­chester United. Hier hat sich seit der Über­nahme der ame­ri­ka­ni­schen Glazer-Familie im Jahr 2005 der Pro­test in gold und grün eta­bliert, eine Remi­nis­zenz an die frü­heren Farben des Ver­eins. Die Gla­zers hatten Dar­lehen für den Kauf ihrer Anteile auf den Klub über­schrieben, der seither jedes Jahr dafür um die 50 Mil­lionen Pfund abbe­zahlt. Ins­ge­samt soll die Über­nahme Man­chester United 1,5 Mil­li­arden Pfund gekostet haben. Der Zorn ist also nicht neu, son­dern besteht seit mehr als einem Jahr­zehnt – und hat nichts mit sport­li­chen Miss­erfolgen zu tun.

Der Pro­test hat eine Eigen­dy­namik an genommen

Nach den Mel­dungen über eine Super League“ nahm die Glazer out“-Bewegung in Man­chester nun neue Fahrt auf. Bereits kurz darauf hatten Fans am Trai­nings­ge­lände und Sta­dion pro­tes­tiert sowie Briefe an die Ame­ri­kaner ver­fasst. Für den ver­gan­genen Sonntag hatte eine anonyme Gruppe zu einer Ver­samm­lung um 14 Uhr Orts­zeit vor Old Traf­ford“ auf­ge­rufen. Die Fans sollten Banner und Fahnen mit­bringen, fried­lich pro­tes­tieren und die Abstände zuein­ander ein­halten. Die Initia­toren hatten nicht geplant, ins Sta­dion ein­zu­dringen oder für eine Spiel­ab­sage zu sorgen. In all den Jahren hatten Uniteds Fans ihren Unmut meist fried­lich und sehr kreativ geäu­ßert.

Doch als sich am Sonn­tag­mittag 200 Fans am Team­hotel ein­fanden und gleich­zeitig über tau­sende am Sta­dion zusam­men­kamen, ent­wi­ckelte sich eine Eigen­dy­namik: Die United-Fans schoben Absper­rungen zur Seite und liefen relativ unbe­hel­ligt ins Sta­dion und auf den Rasen. Einige zer­störten die Ein­rich­tung und TV-Kameras oder schleu­derten Fla­schen auf Poli­zisten. Eine ben­ga­li­sche Fackel soll in die Rich­tung des TV-Stu­dios geworfen worden sein; zudem berichten eng­li­sche Bou­le­vard­me­dien, dass ein­zelne Per­sonen in den Kabi­nen­trakt ein­ge­drungen seien. Die Partie wurde erst ver­schoben und dann abge­sagt, weil die Anreise der Mann­schaften nicht gewähr­leistet werden konnte – und wohl auch weil zu viel Equip­ment im Sta­dion ver­schwunden war. Die Polizei mel­dete am Dienstag, dass sechs Poli­zisten ver­letzt worden seien. Einer hatte großes Glück, dass er nicht sein Augen­licht ver­loren hat“, hieß es in einer Mit­tei­lung. Ein 28 Jahre alter Fan wurde fest­ge­nommen.

Spiel­ab­sage, Fest­nahmen, Pyro­technik, Ver­let­zungen, Platz­sturm – nor­ma­ler­weise wäre der Auf­schrei groß gewesen und die Schlag­zeilen vor­ge­druckt: Eine neue Welle der Gewalt? Die Rück­kehr der Hoo­li­gans? Eine Bedro­hung der Fuß­baller? In Eng­land geschah am Sonntag aller­dings etwas Bemer­kens­wertes: TV-Experten, Ex-Spieler, Jour­na­listen und Poli­tiker begeg­neten den Vor­fällen dif­fe­ren­ziert.

Man­ches­ters Bür­ger­meister ver­ur­teilte die Gewalt, sagte aber: Das könnte der rich­tige Moment sein, um den Fuß­ball zum Bes­seren zu ver­än­dern.“ Pre­mier­mi­nister Boris Johnson kri­ti­sierte Aus­schrei­tungen, äußerte aber eben­falls, dass er die Anliegen der Fans nach den Super League-Plänen ver­stehe. Man Uniteds Legende Roy Keane sagte bei Sky“: Es sind immer ein paar Idioten dabei, aber viel wich­tiger: Die Fans stehen für ihren Klub auf und erheben ihre Stimme.“ Keane konnte sich sogar den Scherz nicht ver­kneifen, dass die Pyro­fackel und die Dosen ja nur in Rich­tung von Jamie Car­ragher geworfen worden seien – eben jener Liver­pooler Legende, die im Sta­dion des Rivalen das Spiel ana­ly­sieren sollte.

Alle Fuß­ball­fans sollten sich hinter Uniteds Fans ver­sam­meln“

Gary Neville

Car­ragher redete sich sogleich in Rage, um Man­ches­ters Fans zu ver­tei­digen: Ich habe es schon als kleiner Junge erlebt, dass wegen ein paar Idioten alle Fans kri­mi­na­li­siert und zu Tieren erklärt werden. Die über­wie­gende Mehr­heit hat hier fried­lich pro­tes­tiert, weil sie sauer darauf ist, wie ihr Klub zer­stört wird. Ihr Anliegen darf jetzt nicht in den Hin­ter­grund rücken.“ Neben ihm hielt Ex-United-Spieler Gary Neville dann fast schon eine pas­to­rale Rede: Heute herrscht Zorn, aber ich hoffe, dass es morgen umschlägt in Mobi­li­sie­rung, Reform und Regu­lie­rung. Alle Fuß­ball­fans sollten sich hinter Uniteds Fans ver­sam­meln.“ Als Mode­rator Dave Jones spöt­tisch fragte, ob nun alle Fans für Spiel­ab­sagen sorgen sollten, kan­zelte ihn Neville mit den Worten ab: Lass mich aus­reden. Jetzt ist nicht die Zeit für Unter­bre­chungen.“

Neville machte in der Folge auf einen wich­tigen Punkt auf­merksam: Die Super League“ war nicht der erste Plan von gie­rigen Klub­be­sit­zern im Corona-Jahr. Unter dem Titel Big Pic­ture“ hatten die großen Ver­eine unlängst eine Ligen­re­form initi­iert, mit der sie ihre Stimm­rechte erwei­tern wollten. Das Pro­jekt wurde aller­dings von den anderen Ver­einen abge­schmet­tert. Ever­tons Vor­sit­zende Denise Bar­rett-Baxendale soll gar eine Ent­schul­di­gung der trei­benden Kräfte aus Liver­pool und Man­chester ver­langt haben. Dabei hätte ihr Klub vom Big Pic­ture“ pro­fi­tiert. Neben diesen Pro­jekten stießen die eng­li­schen Ver­eine außerdem Extra­zah­lungen fürs Pay-TV an oder bean­tragten Corona-Hilfen vom Staat, obwohl sie gleich­zeitig Rekord­um­sätze ver­mel­deten. Die Ent­frem­dung zwi­schen Ver­einen und Fans wuchs genau zu der Zeit, als die Fans sich nicht im Sta­dion dazu äußern konnten.

Fan-Themen werden nun in einer brei­teren Öffent­lich­keit behan­delt

Bei all den kruden Plänen regte sich ihr Wider­stand vor allem in den sozialen Netz­werken. Nach den Mel­dungen über die Super League“ und den Vor­fällen vom Sonntag scheinen die Fan­themen nun in einer brei­teren Öffent­lich­keit behan­delt zu werden. Der Auf­ruhr brachte die Aus­ein­an­der­set­zung (mit den Anliegen). Auch das erscheint als eine kuriose Volte der ver­gan­genen Wochen. Joe Smith, ein United-Fan, der am Sonntag fried­lich vor dem Sta­dion pro­tes­tiert hatte, sagte der BBC: Ich will weiß Gott nicht, dass jemand ver­letzt wird. Wir alle wollen einen fried­li­chen Pro­test. Aber in den ver­gan­genen Jahren haben wir erlebt, dass bei einem fried­li­chen Pro­test nie­mand auch nur eine Augen­braue hebt.“ Das scheint nun anders zu sein.