Am 23. April 1994 erzielte Thomas Helmer einen Treffer, der keiner war. Am Saisonende wurden die Bayern auch deshalb Meister – und Nürnberg stieg ab. Dem Linienrichter Jörg Jablonski kostete das Phantomtor die Karriere.
Carsten Byernetzki: „In der 26. Minute bringt Marcel Witeczek eine Ecke in den Strafraum, Thomas Helmer setzt den Ball neben das Tor, aber Osmers entscheidet auf Tor. Kurz darauf spricht mich Bayern-Trainer Franz Beckenbauer an, der sich die Wiederholung auf den Premiere-Monitoren am Seitenrand angeschaut hat. ‚Hab’s grad gesehen, der war nicht drin!’ Ich: ‚Jetzt kann ich auch nix mehr machen.‘ Zur Halbzeit weiß ich: Das war eine krasse Fehlentscheidung. Weil ich meine Kollegen nicht verunsichern will, sage ich nichts. Beide gehen in die zweite Halbzeit, ohne zu wissen, was wirklich passiert ist. Erst nach dem Spiel, beim Sportschau gucken in der Bayern-Stube, erkennen sie die Fehlentscheidung. Ich habe noch nie zwei Menschen so fertig gesehen.“
Hans-Joachim Osmers: „Auf dem Weg in die Halbzeit frage ich bei Jablonski nach, ob er sich sicher ist, dass der Ball drin war. Er bestätigt mir das. Doch auf den Bildschirmen am Seitenrand sehe ich, dass der Ball nie und nimmer drin war. Ich informiere Jablonski, der natürlich fix und fertig ist. Aber wir müssen ja noch eine Halbzeit durchstehen. Es geht weiter.“
Osmers hat auf Tor entschieden
Fakt ist, dass der von Witeczek getretene Eckball in der 26. Minute auf Thomas Helmer verlängert wird, der sich am langen Pfosten postiert hat. Im Flug erwischt Helmer den Ball erst mit der rechten Wade, vom linken Knöchel springt das Spielgerät zurück an das rechte Bein, mit der Außenseite seines linken Schienbeins bekommt es der Defensivspezialist dann fertig, den Ball ins Aus zu befördern.
Nürnbergs Torhüter Andreas Köpke tätschelt seinen Nationalmannschaftskollegen, „und macht sich dabei über mich lustig – zurecht“, wie sich Helmer erinnert. Kurz darauf greift sich Köpke an den Kopf, Osmers hat auf Tor entschieden.
Warum wurde Helmer nicht gefragt? Das war damals nicht üblich, sagen die Schiedsrichter heute, Osmers verließ sich auf seinen Linienrichter Jablonski und fällte seine Entscheidung. Ohne bei Jablonski nachzuhaken. Headsets gab es noch nicht, eine Entscheidung zu lange hinauszuzögern, galt als Schwäche.
„Das waren Sekunden“
Warum ging Helmer nicht zum Schiedsrichter? Dass der Ball ins Aus gerollt war, wusste Helmer. Aber wo war der Ball kurz zuvor, beim Billardspiel zwischen seinen Beinen? Vielleicht für einen Moment hinter der Linie? „Das waren Sekunden“, erinnert sich Helmer, „in denen ich überhaupt keine Entscheidung treffen konnte.“ Noch heute werfen ihm die Nürnberger und sogar Schiedsrichter Osmers vor, sein Nicht-Tor auch noch bejubelt zu haben, in den Aufnahmen sieht man, wie Helmer die Arme in die Höhe streckt. „Das war eher so eine Was-ist-los-Geste“, sagt Helmer. „Ich habe nicht gejubelt.“
Bleibt die große Frage: Was hat Jörg Jablonski nur geritten, Helmers hilfloses Gestocher als Torerfolg zu werten? Dem „Kicker“ erklärte Jablonski die Szene am Tag nach dem Spiel so: „Ich stehe genau an der Eckfahne und gucke in die Sonne. Der Spieler Helmer steht am hinteren Pfosten vor der Torlinie. Ich sehe, wie Köpke auf den Ball zustürzt und wie Helmer den Ball über die Linie bringt. Ich war hundertprozentig der Überzeugung, dass der Ball hinter der Linie war. Erste Zweifel kamen mir aber schon, als der Ball neben dem Tor lag. Zumal Köpke und einige Club-Spieler auf mich zustürmten. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.“
Auch Osmers verdächtigt die schräg stehende Sonne als Helferlein bei diesem Fauxpas, Carsten Byernetzki vermutet einen Blackout, wie er „jedem Schiedsrichter schon einmal passiert ist“.