Noch in der Umkleidekabine holt der FC Bayern seine neunte deutsche Meisterschaft in Folge. Die Art und Weise, wie die Münchner den Titel feiern, zeigt, wie viel im deutschen Fußball schief läuft.
Zunächst die Pflicht: Gratulation, lieber FC Bayern München, zum Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft. Glückwunsch zum neunten Bundesligatitel in Folge, zum 31. insgesamt. Eine beachtliche Leistung.
Wer am Samstagabend die Szenen beobachtete, die sich in München abspielten, konnte sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass auch für die Akteure des FC Bayern das Feiern der Meisterschaft mittlerweile nicht viel mehr ist als eine Pflichtübung. Als der Schlusspfiff der Partie gegen Gladbach ertönte, klatschten sie sich artig mit ihren Gegenspielern ab. Anschließend streiften sie sich die roten Shirts mit der großen „9“ auf der Brust über, setzten sich die roten Meisterkäppis auf und hüpften ein bisschen im Kreis auf und ab. Dazu sangen sie das „Campeones“-Lied, das man mittlerweile eben singt, wenn einem vor lauter Erfolgen nichts anderes mehr einfällt, als das zu singen, was die anderen erfolgreichen Mannschaften auch singen. Euphorie auf Knopfdruck.
„Da ging ein Raunen durch die Kabine“
Dabei stellte diese neunte Meisterschaft selbst für die routinierten Münchner Jubelmaschinen eine neue Erfahrung dar. Das lag nicht an den fehlenden Zuschauern, das kannten sie ja schon aus dem letzten Jahr, sondern war vielmehr dem Umstand geschuldet, dass sie den Titel schon rund eine Stunde vor dem Anpfiff der Partie in der Tasche hatten. In den Katakomben des eigenen Stadions durften die Münchner entspannt verfolgen, wie Borussia Dortmund sie durch den späten Sieg gegen RB Leipzig zur Meisterschaft schoss. Dass es die ärgsten Verfolger der vergangenen Jahre waren, die in einem direkten Aufeinandertreffen die bayrische Dominanz besiegelten, hatte fast eine ungewollte Symbolik.
Doch mit derlei Gedanken konnten und wollten sich die Münchner kurz vor dem eigenen Auftritt nicht herumschlagen. Das entscheidende Dortmunder Tor habe man „schon wahrgenommen“ sagte Thomas Müller bei Sky. „Da ging ein Raunen durch die Kabine.“ Und auch Trainer Hansi Flick gab intime Einblicke ins Münchner Seelenleben: „Natürlich hat sich jeder ein bisschen gefreut.“ Ein Raunen! Ein bisschen Freude! Mehr Emotionen waren vor dem Anpfiff des eigenen Spiels eben nicht drin. Schließlich hatten die Münchner noch ganz andere Ziele.
Zum einen hatten sie sich offenbar vorgenommen, auch ja keinen Zweifel daran zu lassen, wer die beste Fußballmannschaft in diesem Land ist. Was ihnen, das muss man anerkennen, mit ihrem 6:0‑Sieg gegen den bisherigen Angstgegner Borussia Mönchengladbach in beeindruckender Manier gelungen ist. Und zum anderen ist da ja noch die Sache mit dem Torrekord. Vier Treffer fehlten Robert Lewandowski vor der Partie zur 40-Tore-Bestmarke von Gerd Müller, seit dem Schlusspfiff ist es nur noch einer. Der heilige Ernst, mit dem die Münchner diese Ziele verfolgen, ist bezeichnend.
Bezeichnend, natürlich, für den Hunger der Mannschaft, für ihre Mentalität und für ihren Willen, immer das Maximum zu erreichen, aus jeder Saison, jedem Spiel den größtmöglichen Erfolg herauszuquetschen. Bezeichnend aber auch dafür, welch mickrigen Stellenwert die deutsche Meisterschaft im Kosmos des FC Bayern München mittlerweile einnimmt. Wenn die Gier auf eine weitere Machtdemonstration und einen Torrekord größer sind als die Lust aufs zünftige Feiern eines Titels, dann läuft einiges falsch.