Hannes Bongartz ist 70 Jahre alt geworden. Als „Spargeltarzan“, der per Übersteiger die Gegner nassmacht, ging er in die Bundesligageschichte ein. Hier spricht er über Tränen von Uli Hoeneß, Kunstradfahren und die guten Eigenschaften von Pferden.
Was sagen Sie dann?
Dass sie beim nächsten Gran Canaria Urlaub in „Oscars Pub“ einkehren, dort fünf Pils trinken und dann beim Deckel einen Euro abziehen lassen sollten. Die Kneipe gehört nämlich „Oscar“ Siebert…
Wie kam Ihr Ziehvater Steilmann mit Ihren Abwanderungsgedanken klar?
Ihm war bewusst, dass er mich nicht halten kann. Er sagte: „Wenn du das machen willst, dann geh. Und wenn Du nicht dort zurecht kommst, geben wir Schalke das Geld zurück und du kommst wieder“. Damit hat er sehr viel Druck von mir genommen.
Was machte die Beziehung von Steilmann und Ihnen aus?
Er hatte eine grandiose Menschenkenntnis. In neun von zehn Gesprächen erkannte er sofort, welche Fähigkeiten in einem Mensch schlummern und wie er sich diese zunutze machen kann. Mit ihm konnte ich jederzeit unter vier Augen über Fußball reden, das war vor allem in meiner Trainerzeit wichtig, denn auf sein Wort konnte man sich verlassen und er hat den Stress von einem weggehalten.
Waren Sie mit Steilmann per Sie?
Er sagte „Hannes“ zu mir, ich nannte ihn „Boss“.
Der „Spargeltarzan“ musste bei Schalke 04 unter Trainer Ivica Horvat erstmal ordentlich schuften.
Das erste halbe Jahr auf Schalke war die Hölle. Horvat wollte, dass ich zulege. Während die anderen vor Saisonbeginn zu Freundschaftsspielen über die umliegenden Dörfer tingelten, rannte ich tagein, tagaus mit der Bleiweste im Revierpark Nienhausen die Hügel rauf und runter. Als die Saison anfing, war ich platt wie eine Flunder und in der Hinrunde kriegte ich fast gar nichts auf die Reihe.
Es war damals viel Unruhe im Klub, Schalke 04 stand unter dem Eindruck des Bundesligaskandals. Sogar „Stan“ Libuda war nach einem Jahr bei Racing Straßburg zurück.
Das war eine „Good Will“-Aktion des Klubs. Er trainierte nur noch, mehr ging leider nicht mehr. Es war skurril. Die wichtigsten Spieler fehlten ständig beim Training, weil sie in Essen vor dem Landgericht aussagen mussten. Manchmal wurde die Einheit um eine halbe Stunde nach hinten verschoben und wir warteten, bis die Kollegen im Anzug aus dem Gericht kamen.
Schalke war eine launische Diva. Ständig wurden die Trainer gewechselt.
Daran war ich aber nicht schuld. Ich würde sagen, dass ich es keinem unserer damaligen Trainer besonders schwer gemacht habe.
Ihr Teamkollege Helmut Kremers soll während des Kurzzeitengagements von Max Merkel während eines Spiels gesagt haben: „Trainer, ich muss mal zur Toilette.“
Das hätte ich mich nie getraut. Merkel war extrem autoritär, uns jüngere Spieler hatte er gut im Griff, auch wenn ich sagen muss, dass manches, was wir uns von ihm anhören mussten, heute für eine Klage ausreichen würde. Aber wir haben gekuscht. Die Älteren waren da etwas aufmüpfiger, deswegen war Merkel bald wieder weg.
Ihnen eilte der Ruf voraus, eine „schlampiges Genie“ zu sein.
Technisch begabten Mittelfeldspielern sagt man oft eine gewisse Schlampigkeit nach. Denken Sie nur an Günter Netzer oder Hansi Müller. Bei Typen wie „Bulle“ Roth oder „Katsche“ Schwarzenbeck heißt es im Gegensatz: „Der vergewaltigt den Ball.“ Beides ist doch nur zum Teil richtig. Ein Zehner grätscht eben seltener.
Wie lief das Profileben Mitte der Siebziger auf Schalke ab?
Wir konnten uns völlig frei bewegen. Mittags gingen wir nach dem Training zusammen im „Kaufhof“ zum Mittagessen. Vor Heimspielen fuhren wir am Freitag nach dem Abschlusstraining mit dem Bus nach Flaesheim und kehrten im „Jägerhof“ ein. Dort gab es das beste Essen. Nach dem Dinner gingen wir spazieren, vorm Einschlafen tranken wir an der Hotelbar noch ein Bierchen und am Samstag fuhren wir die 35 Kilometer zurück bis ins Parkstadion.
Und nach den Spielen?
In Gelsenkirchen gingen wir oft in eine Disco namens „Python“. Und wenn wir verloren hatten, gab es von den Gästen dort auch mal Feuer. So wie der Kohlenpott halt ist: hart, aber herzlich.
Ihnen gelang das Kunststück, 1976 die Bayern mit einer Weltklasseleistung 7:0 zu schlagen und ein Jahr später in München mit 1:7 zu verlieren.
Und ich Trottel schieße in der Schlussminute ein Eigentor. Der Ball fiel mir so unglücklich auf den Fuß, dass ich mit ihm ins Netz stolperte und mir nichts besseres einfiel, als zu grinsen. Ein Fotograf hinterm Tor ließ sich das Bild nicht entgehen und am nächsten Tag sah man in allen Zeitungen, wie ich lächelnd im Tor stehe. Unserem Trainer Friedel Rausch ging die Fratze da natürlich auch runter.
Was haben Sie ihm gesagt?
Soll ich, wenn eh schon alles verloren ist, am Ende noch in Tränen ausbrechen?
Ihre größten Spiele erlebten Sie, nachdem Sie 1978 nach Kaiserslautern wechselten. Dort trafen wieder auf Kalli Feldkamp.
Er hatte mich geholt. Schalke war mal wieder knapp bei Kasse, „Oscar“ Siebert brauchte die Ablöse. Ich kam in das beste Team, in dem ich je gespielt habe, wir spielten vier Jahre in Folge UEFA-Cup.
Real Madrid fegten Sie im Viertelfinale 1981/82 mit 5:0 vom Betzenberg. Das beste Spiel Ihrer Laufbahn?
Sicher eines der besten. Im Hinspiel hatten wir in Madrid 3:1 verloren. Die Spanier traten uns mit einer derartigen Brutalität zusammen, sowas kannten wir nicht. Danach war zwei Wochen Ausnahmezustand in Kaiserslautern. Die Bundesliga spielte überhaupt keine Rolle mehr – es ging nur noch darum, es Real heimzuzahlen. Wir wollten Rache – und die nahmen wir dann auch.
Berühmt-berüchtigt waren Sie in der aktiven Zeit für Ihren Übersteiger. Woher hatten Sie den Trick?
Es gab einen Angreifer in Aachen, Herbert Gronen, den hatte ich in den Sechzigern am Tivoli gesehen, und war ganz begeistert von seinem Trick gewesen. Also probierte ich es aus – und es wurde zu meinem Markenzeichen. Es war eine gute Finte, um vom Gegenspieler wegzukommen.
Aber wer als Profi für einen Trick bekannt ist, wird es nicht leicht haben, diesen ständig anzuwenden.
Ich weiß noch, wie ich im Spiel gegen den HSV auf Manni Kaltz zukam. Er rief mir schon von weitem zu: „Mach ihn nicht, Hannes, mach ihn nicht.“
Und Sie haben Ihn doch gemacht.
Ich habe es immer wieder versucht, meistens ging es auch gut.
Warum haben Sie eigentlich nur vier Länderspiele gemacht?
Ich habe stets ehrgeizig auf meine Ziel hingearbeitet, aber wenn ich das Vorgenommene erreicht hatte, neigte ich mitunter zur Zufriedenheit. 1976 hatte ich es in den DFB-Kader geschafft – ein langgehegter Traum ging in Erfüllung. Aber es gab viele gute Spieler auf meiner Position, da hätte ich mehr beißen müssen.
Ihren größten Auftritt im Nationaltrikot hatten Sie im EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei. Im Elfmeterschießen traten Sie erfolgreich an.
Es wollte ja kein anderer. Die gingen alle weg, als Helmut Schön sie fragte, ob jemand schießen möchte. Sogar Franz Beckenbauer lief an die Seite. Ich hatte damit kein Problem, aber natürlich wird das Tor auf dem Weg von der Mittellinie zum Punkt immer kleiner. Und wenn dann der Clown auf der Linie auch noch Faxen macht, kommt man schon ins Grübeln.