Er gilt als unbeliebtester Mann in Newcastle: Mike Ashley, Eigentümer von Newcastle United. Nun verkauft er nach 13 turbolenten Jahren den Klub. Die Anhängerschaft freut’s. Bloß: Auch die neuen Eigentümer sind mehr als umstritten.
So soll Mohammed bin Salman beispielsweise mitverantwortlich für den Tod des Journalisten Jamal Khashoggi sein. Der Regierungskritiker war 2018 auf Staatsbefehl aus der saudischen Botschaft in Istanbul entführt und ermordet worden. Später soll er zersägt worden sein. Die englischsprachige Presse taufte den Kronprinzen daraufhin „Mister Bone Saw“. Immer wieder verschwinden im Land politische Rivalen oder werden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch massenhafte Exekutionen sind Teil des politischen Geschäfts. 149 sollen es nach Angaben von Amnesty International 2018 gewesen sein. Erst im März sind drei Prinzen festgenommen worden, weil sie angeblich den Kronprinzen stürzen wollten. Systematisch lässt bin Salman politische Gegner ausschalten.
Auch den Krieg im Jemen hat bin Salman in seiner Position als Verteidigungsminister mit zu verantworten. Seit 2015 wütet dort ein verheerender Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran. Das alles, um die Macht des sunnitisch-wahhabitisch geprägten Saudi-Arabiens gegenüber dem schiitisch geprägten Iran in der Region zu festigen. Die Folge: Über 230.000 Kriegstote, laut Bericht der Vereinten Nationen sind die meisten Opfer Kinder. Rund 28 Millionen Jemenit*innen, oder 80 Prozent der Bevölkerung, sind auf ausländische Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen benennen die Situation in Jemen mit einem Superlativ: die „schlimmste humanitäre Krise der Welt.“
Während der Krieg weiter tobt und die humanitäre Unterstützung der Jemenit*innen vor Kurzem halbiert wurde, versucht sich der Kronprinz rein zu waschen. Der zukünftige Herrscher Saudi-Arabiens gibt sich vordergründig als großer Reformer. So öffnet er sein Land dem Westen oder kehrt vom ultrakonservativen Frauenbild ab. Im Hintergrund aber lässt das Regime um bin Salman weiter Regierungskritiker*innen eiskalt ausschalten, führt Kriege oder unterdrückt Minderheiten.
Jetzt könnte die Frage aufkommen, ob ein umstrittener Staatsmann wie Mohammed bin Salman einen Premier-League-Klub überhaupt übernehmen darf. Eine Hürde gibt es in England. Wer einen Verein besitzen möchte, muss sich einer Prüfung unterziehen. Der „Owners‘ and Director’s Test“ sieht vor, die Integrität der Investor*innen oder Eigentümer*innen auf die Probe zu stellen. Eines der Kriterien: Verhaltensweisen außerhalb des Vereinten Königreichs werden überprüft, die innerhalb des Vereinigten Königreichs einen Gesetzesverstoß darstellen würden. In Bezug auf bin Salman und Saudi-Arabien dürfte die Liste erdrückend lang sein. Die Liga interessierte sich allerdings recht wenig für Menschenrechtsverletzungen oder den Jemen-Krieg, sondern sorgte sich mehr um illegal abgefangene Bewegtbilder der Ligaspiele. Sie forderten Riad auf, die TV-Piraterie zu beenden. Immer im Blick: ein neuer, millionenschwerer TV-Deal – das sagen zumindest die Kritiker.
Auch weite Teile der Fans des Tabellen-Dreizehnten akzeptieren das Verhalten von bin Salman und des Regimes. Frei nach dem Motto „Alles ist besser als Ashley“ befürworten einer Umfrage einer Lokalzeitung zufolge über 80 Prozent den Verkauf an den saudischen Staatsfond. Das ist zwar ein deutliches Zeichen, wie sehr Mike Ashley dem Traditionsverein in seinen 13 Jahren als Eigentümer und Präsident geschadet hat und wie stark die Fan-Seele in dieser Zeit leiden musste. Es zeigt auf der anderen Seite aber wieder einmal, wie die Fußballgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen und Deals mit Diktaturen ignoriert und wie einfach finanzielle Interessen eines Vereins oder Verbandes humanitäre Interessen von Millionen Menschen aushebeln.
Dieses Vorgehen kritisiert der britische Ableger der Menschenrechtsorganisation Amnesty International scharf. Es sei zwar nicht ihre Aufgabe zu sagen, wer der Eigentümer von Newcastle United sein soll, aber, so Felix Jenkins von Amnesty gegenüber dem englischen Guardian: „Spieler, Mitarbeiter und Fans sollen sehen, was die Masche der Investorengruppe ist. Schlicht und ergreifend: Sportswashing.“ Man wolle den schlechten Ruf des autoritär geführten Wüstenstaats beispielsweise mit der Ausrichtung von Sportveranstaltungen reinwaschen. So war Saudi-Arabien Schauplatz des spanischen Supercups, der englische Box-Star Anthony Joshua kämpfte dort gegen Andy Ruiz. Auch die Rallye Dakar war zu Gast. Nun werden die Saudis zunehmend in der Premier League aktiv. Mit Sheffield United steht bereits ein Klub im Besitz eines saudi-arabischen Geschäftsmannes. Newcastle soll nun das neue Vorzeigeobjekt des Kronprinzen bin Salman werden. Der Guardian berichtet, man wolle signifikant in den Klub investieren. Von einer besseren Infrastruktur und neuen Spielern ist die Rede.
Bald ist sehr wahrscheinlich also ein Mann an der Spitze eines englischen Traditionslubs, dessen Wirken Felix Jakens von Amnesty International so beschreibt: „Unter Kronprinz Mohammed bin Salman wurde umfassend gegen Menschenrechte vorgegangen, zahlreiche Aktivisten wurden inhaftiert, es gibt anhaltende Bedenken wegen saudischer Hackerangriffe und auch die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition im Jemen hat eine blutige Bilanz.“ Oder um es in den Worten der Magpies zu sagen: „Alles ist besser als Mike Ashley.“