Am Wochenende wird sich ganz Deutschland von Claudio Pizarro verabschieden. Und von Mario Gomez. Und vielleicht sogar von Timo Werner. Doch was ist mit den einfachen Arbeitern, die die Liga verlassen? Mit Spielern, die jahrelang ihre Knochen hingehalten haben, ohne zu murren? Mit Typen wie Per Skjelbred?
Wissen Sie, was Sie am 16.02.2014 gemacht haben? Nein? Macht ja nichts. Dafür können wir Ihnen genau sagen, was bei Per Skjelbred an diesem Tag im Februar so los war. Er hat ein Tor geschossen für Hertha BSC, gegen den VfL Wolfsburg. Allerdings nicht irgendein Tor, sonst würde es an dieser Stelle ja keine Erwähnung finden, mitnichten, es war, auch wenn er das damals vermutlich anders geplant hatte, sein bis heute letztes Bundesligator für Hertha. Sogar sein letztes Tor in einem professionellen Fußballspiel überhaupt, Nationalmannschaft hin, DFB-Pokal her. Februar 2014? Das war vor mehr als sechs Jahren. Selbst Dennis Diekmeier hat seitdem getroffen. Zu sagen, dass ein Mann wie Per Skjelbred die Massen zum Aufjauchzen bringt, wäre also ein wenig zu dick aufgetragen. Und trotzdem: Einer wie Skjelbred hinterlässt bei Hertha BSC eine große Lücke, wenn er sich in ein paar Tagen auf den Rückweg nach Norwegen macht.
Denn Per Skjelbred hatte andere Aufgaben. Er lief Löcher zu und machte den Mund auf, er dirigierte und foulte taktisch, er stibitze Bälle und hielt die Spannung im Training hoch, selbst wenn schon am Dienstag klar war, dass er am Samstag nur auf der Bank sitzen würde. Er war da, wenn er gebraucht wurde. Und sei es, um seinen vogelwilden Kollegen in der Halbzeitpause taktische Anweisungen zu geben wie vor einigen Monaten in Düsseldorf, als Hertha nach dem Seitenwechsel aus einem 0:3 immerhin noch ein 3:3 machte. Er riss sich den Arsch auf, in welcher Rolle auch immer. Dass im Erfolgsfall andere das Lob dafür einheimsten, die Torschützen etwa oder die Jungs mit den bunten Schuhen? Egal.
Selbst in seiner letzten Bundesligawoche kämpft er noch. Nachdem er sich am 13. Juni gegen Eintracht Frankfurt verletzt hatte, schien es für ihn keine Chance mehr auf einen weiteren Einsatz zu geben. Nun winken ihm doch noch ein paar Minuten beim Spiel in Gladbach. Weil er, so hat er es unter der Woche einer Berliner Medienrunde erzählt, „alles gemacht“ hat. „Zweimal täglich Behandlung und trainiert und trotzdem versucht, nicht zu früh anzufangen. Dass ich mitfahren und ein bisschen spielen darf in Mönchengladbach, ist meine Hoffnung. Ein letztes Mal bei den Jungs sein – und lass‘ es nur fünf Minuten sein.“
„Ein letztes Mal bei den Jungs sein – und lass‘ es nur fünf Minuten sein“
In ein paar Tagen geht es für Skjelbred nach fast einem Jahrzehnt in Deutschland zurück nach Norwegen, zu Rosenborg Trondheim. Wo er zunächst noch in der ersten Mannschaft spielen und dann als Leiter die Jugendakademie übernehmen wird. Kommandos geben kann er. Erfahrung hat er ebenfalls genug. Wobei sein eigener Weg ins Profigeschäft für die meisten der Nachwuchsspieler eher nicht als Beispiel dienen wird. Denn er wurde nicht direkt auf dem Platz entdeckt, sondern im Fernsehen, bei einer Castingshow.
Da war er gerade 13 Jahre alt – und gewann als Preis ein dreiwöchiges Probetraining beim FC Liverpool. Das Angebot, das der englische Traditionsverein ihm danach machte, lehnte er ab. Stattdessen ging er zu Rosenborg, wurde mit 16 Profi, mit 19 Nationalspieler und war plötzlich das heißeste norwegische Talent auf dem Markt. Im Sommer 2011 machte er rüber nach Deutschland. Beim HSV schlug er als Zehner auf – und ging gemeinsam mit den anderen unter. Nach zwei enttäuschenden Jahren ließ er sich nach Berlin ausleihen, spielte seine offensiv stärkste Saison überhaupt (zwei! Tore, sieben Vorlagen) und wurde danach fest verpflichtet. Um danach, Woche für Woche, ein Stück weiter nach hinten zu rücken. Bis er direkt vor der Abwehr angekommen war. Wo er seitdem ausputzt und ankurbelt, verdrängt wird und sich zurückkämpft.
Bei Hertha hat er in sieben Jahren Krisen überstanden, kleine (bzw. sehr kleine) Erfolge gefeiert, Trainer kommen und gehen gesehen. Er stand mit seiner unspektakulären Spielweise sinnbildlich für die Dardai-Jahre, nicht richtig gut, nicht richtig schlecht, mit Ball harmlos, ohne Ball eklig. Als Hertha-Fan hätte man sich von ihm und seinen Kollegen oft mehr Risiko gewünscht – bis der Verein im vergangenen Sommer plötzlich volles Risiko ging. Dardai raus, Windhorst rein, teure Stars, Klinsmann, Kalou, Facebook Live, peinliche Schlagzeilen, Skandale, Tagebücher, Chaos, sportliche Talfahrt. In den schrillen Hertha-Monaten wünschte man sich als Hertha-Fan wieder mehr Skjelbred und weniger Big City. Skjelbred selber hielt die Klappe, er ackerte einfach weiter. Und als es in den ersten Spielen unter Bruno Labbadia plötzlich ums sportliche Überleben ging, spielte er so stark wie seit Jahren nicht. „Per ist ein besonderer Spieler für Hertha“, sagte Labbadia kürzlich gegenüber dem Kicker. „Man merkt erst, wie besonders er ist, wenn man ihn selber auch trainiert.“
So wie viele erst merken werden, wie besonders er ist, wenn er nicht mehr da ist. Wenn da plötzlich keiner mehr in der Kabine sowohl mit den großen Namen als auch mit den Wasserträgern kann. Wenn neu verpflichtete Millioneneinkäufe nach einer Woche auf der Bank zum Reporter ihres Vertrauens rennen, statt im Training die Ärmel hochzukrempeln. Wenn die Mannschaft auseinander fällt wie Hertha gegen Frankfurt, nachdem Skjelbred vom Platz gehumpelt war. Weshalb am Wochenende, wenn Stars wie Claudio Pizarro oder Mario Gomez (verdientermaßen!) von der Öffentlichkeit umarmt werden, auch ein Per Skjelbred zumindest die ein oder andere Streicheleinheit verdient hätte. Und er ist bei weitem nicht der einzige stille Arbeiter, auf den das zutrifft. Ein Javi Martinez – klar, andere Gewichtsklasse – wurde bundesweit nie so richtig dafür gefeiert, dass er zu seiner stärksten Zeit zu den besten Mittelfeldspielern der Welt zählte. Ein Stefan Bell könnte sein letztes Bundesligaspiel längst gemacht haben. Ein Benjamin Stambouli ebenfalls.
„Am Wochenende Feuerwehrmann, an den anderen Tagen Trainer in der Akademie“
Skjelbred selber ist es vermutlich egal, wieviel Rummel in Deutschland um seinen Abschied gemacht werden wird. Zum einen sind ihm zumindest die Herzen der Berliner Fans sicher – zum anderen kreisen seine Gedanken um wichtigere Themen. Berufliche zum Beispiel. Nach der Karriere möchte er in Norwegen nicht nur in Trondheims Akademie schuften, sondern auch für die Feuerwehr arbeiten. Davon habe er schon als Jugendlicher geträumt: „Das Thema ist immer noch da“, sagte er dem Kicker. „Vielleicht am Wochenende Feuerwehrmann, an den anderen Tagen Trainer in der Akademie. Das wäre perfekt.“ Man möchte ihm zurufen: „Per, den Job hast du doch längst erledigt.“ Denn wer, wenn nicht er, war denn immer da, wenn es brannte?