Souleymane Cherif war der einzige Schwarze im DDR-Fußball. 1964 schoss er den SC Neubrandenburg überraschend in die Oberliga, dabei wollte er eigentlich nur studieren.
Jürgen Schröder ist tatsächlich sofort dabei. Und er findet das ganz schön verrückt, schließlich sei erst vor kurzem ein Filmemacher in Neubrandenburg gewesen, der eine Dokumentation über Cherif machen wollte. Es gab allerdings kein Bewegtbild mehr, weswegen das Projekt bald wieder beerdigt wurde.
An einem Dienstag Ende Juli erscheint Schröder zu einem Treffen am Neubrandenburger Marktplatz. Er hat etliche Fotoalben und Zeitungsausschnitte aus den frühen Sechzigern mitgebracht, außerdem zwei weitere Mitspieler von damals: Peter Krabbe und Harry Mehrwald. Die drei Herren sind mittlerweile um die 70, aber gut in Form und eingespielt wie damals: der aufgekratzte Krabbe, der einfach mal drauf losspricht. Der eloquente Schröder, der das Gesagte einordnet. Und der zurückhaltende Mehrwald, der nickt und die Punkte setzt. „Pelé war ein feiner Kerl“, sagt Krabbe zu Beginn und berichtet von tollen Taten und noch tolleren Toren. Schröder sagt: „Der hätte auch in der Oberliga spielen können.“ Und Mehrwald ergänzt still: „Wirklich. ’n guter Junge!“
„In den ersten Wochen duschte er mit Badehose“
Gut Deutsch konnte Cherif schon am Tag ihres Kennenlernens, denn er hatte zuvor einen Sprachkurs in der Nähe von Dresden gemacht. Trotzdem sei ihm das Leben in Deutschland anfangs fremd gewesen. Er trank keinen Alkohol, ernährte sich vegetarisch und hörte ganz andere Musik. Die Frauen begrüßte er mit Madame, was ihnen gefiel. Schröder, der als Lehrer arbeitete, nannte er Professor. „In den ersten Wochen duschte er mit Badehose“, sagt Mehrwald. „Bis wir ihm sagten, dass er sie ruhig ausziehen kann.“
Sie berichten von ihrem ersten Treffen in der Turnhalle. Mit so einem, dachten sie, könnten sie vielleicht in die Oberliga aufsteigen. „Also haben wir sofort Trainer Gottfried Eisler Bescheid gesagt“, sagt Krabbe. Und auch Eisler soll begeistert gewesen sein.
Dann legen sie Zeitungsausschnitte und Bilder auf den Tisch. In einem Artikel aus der „Fußballwoche“ erfährt man, dass Souleymanes Vater eine Bananenplantage in Westafrika besaß: „Er musste schwer arbeiten, um von seinem kleinen Gewinn, den ihm die französische Kooperation zuerkannte, die achtköpfige Familie zu ernähren.“ Auf den Porträtfotos blickt der junge Cherif mit wachen Augen in die Kamera, auf den Spielfotos erkennt man einen kräftigen jungen Mann, massive Beine, den Oberkörper oft nach vorne gebeugt, stets bereit für den nächsten wuchtigen Schuss. 1,75 Meter, 75 Kilo schwer war er, so steht es in einem Steckbrief.
Fußballspielen lernte er mit einer Zitrone
„Guck mal hier“, sagt Krabbe und legt ein Foto auf den Tisch. „Das Bild hat sonst niemand. Eine echte Rarität.“ Es zeigt Cherif auf einer stark verschneiten Straße in Hennigsdorf in der Oberhavel. Wenige Minuten später bestritt der Stürmer, gerade 18 Jahre alt, sein erstes Freundschaftsspiel für den SCN, mit Handschuhen und drei T‑Shirts unterm Trikot. „Aber er konnte sich schnell anpassen“, sagt Krabbe. „Hat mal erzählt, dass er das Fußballspielen mit einer Zitrone gelernt hat.“
Einmal, so sagen sie, schwebte er waagerecht durch den Strafraum und schoss den Ball im Flug per Hacke ins Tor. Ein anderes Mal, gegen BSG Stahl Eisenhüttenstadt, trickste er den Torhüter beim Elfmeter aus. Er legte sich den Ball auf den Punkt und ging zwei Meter zurück. Danach machte er wieder zwei Schritte nach vorne, und es sah so aus, als wollte er sich den Ball noch einmal zurechtlegen. Im Runterbeugen aber schoss er ihn mit der Picke seines Standbeins ins Tor. „Wahnsinn“, jubelt Krabbe. „Das beste Tor des Jahrzehnts!“