Souleymane Cherif war der einzige Schwarze im DDR-Fußball. 1964 schoss er den SC Neubrandenburg überraschend in die Oberliga, dabei wollte er eigentlich nur studieren.
Dort, wo sie Souleymane Cherif vor über 50 Jahren entdeckten, in der Sponholzer Straße in Neubrandenburg, sitzen zwei Bauarbeiter an einer Bushaltestelle und machen Mittagspause. Die Sonne knallt auf die grauen, rissigen Fassaden und angegilbten Markisen der Plattenbauten. Es gibt Bockwurst mit Senf, dazu Dosenbier. Ein recht normaler Dienstag Mitte Juli 2016 in Neubrandenburg.
Wann der Bus zurück ins Zentrum fährt, möchte man wissen. „Ist gerade weg!“ – Tja. – „Muss ja.“ – Kennen Sie Souleymane Cherif? – „Suleimanwatt?“ – SC Neubrandenburg, Stürmer, guter Mann. – „Nie gehört!“ – Und sonst? – „Guck mal hier“, sagt der eine und zieht die heutige Ausgabe des „Nordkurier“ aus seiner Plastiktüte. Klopft auf die Titelseite: „Schlägerei in Berufsschule ruft Polizei auf den Plan“, steht da. Er zeigt auf die Gebäude hinter der Bushaltestelle und dann nach links auf die Häuser mit den zerschlagenen Fenstern: „Das sind die Flüchtlingsunterkünfte, und dahinter findste die Berufsschule. Manchmal geht hier die Luzi ab.“
Genau hier, im Nordosten Neubrandenburgs, wo die Zeit seit der Wende stehengeblieben scheint, aber jetzt manchmal richtig Remmidemmi ist, begann vor über 50 Jahren eines der schönsten Märchen der deutschen Fußballgeschichte. Es handelt von dem einzigen Schwarzen in der DDR-Liga. Einem jungen Mann, der Anfang der Sechziger aus Guinea nach Ostdeutschland aufbrach, um in Neubrandenburg Bauwesen zu studieren, und wenig später ganz unverhofft zum Torjäger des lokalen Fußballklubs wurde. Der es später sogar bis in die Nationalmannschaft seines Landes schaffte und 1972 zu Afrikas Fußballer des Jahres gekürt wurde.
Entdeckt beim Basketball
Das Märchen begann an einem Wintertag 1962 in der Turnhalle an der Sponholzer Straße 18. Cherif warf ein paar Bälle auf einen Basketballkorb, und ein paar DDR-Liga-Kicker des SC Neubrandenburg beobachteten ihn dabei. Sie waren so begeistert von den geschmeidigen Bewegungen und dem Ballgefühl des Afrikaners, dass sie ihn zu einem Probetraining bei ihrer Fußballmannschaft überredeten.
Damals gehörten die Gebäude in der Sponholzer Straße zur VEB Bau-Union und wurden von ostdeutschen Junggesellen, Auszubildenden oder Studenten aus sozialistischen Bruderländern bewohnt, von jungen Männern aus Angola, Mosambik oder Guinea. Hier lebte Souleymane Cherif mit 29 Landsleuten, rückwärtiges Internatsgebäude, Block D. Hier war er ein Student unter hunderten, beim SCN wurde er zum Helden.
In der Saison 1962/63 rettete er das Team mit seinen Treffern vor dem Abstieg, ein Jahr später schoss er es mit zwölf Toren in die Oberliga. Das Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern feierte die Überraschung wie eine Weltmeisterschaft, für Cherif war der Aufstieg allerdings der Anfang vom Ende. Laut DFV-Statuten war es ausländischen Spielern verboten, in der höchsten DDR-Klasse zu spielen, weswegen Cherif den SC Neubrandenburg im Sommer 1964 wieder verließ. Er spielte ein weiteres Jahr in Neustrelitz, drittklassige Bezirksliga, beendete sein Studium und kehrte heim nach Guinea.
„Sie nannten ihn Pelé“
Und das war lange Zeit so ziemlich alles, was man über den Mann wusste. Gelegentlich berichtete die lokale Presse noch über den Mann aus Guinea. Aber eigentlich blieb Cherif ein Mysterium. Er war wie ein Geist. Er kam aus dem Nichts und verschwand nach zwei Jahren einfach so. Selbst in Neubrandenburg findet man nur noch wenige Spuren seines Aufenthalts.
Stefan Saager ist heute Geschäftsführer des SCN und ein hilfsbereiter Mann. Er kenne Souleymane Cherif von Erzählungen, sagt er. „Die Alten schwärmen immer noch von ihm. Sie nannten ihn Pelé.“ Wo sind die alten Mitspieler abgeblieben? Hat jemand noch einen Kontakt zu ihm? Puh. Saager atmet tief ein und aus und wühlt sich durch ein paar Aktenordner. Das ist gar nicht so einfach, schließlich habe sich der Verein ein paarmal umbenannt, heute heißt der Fußballklub 1. FC Neubrandenburg 04. Dann aber hat er einen Einfall. „Rufen Sie mal Jürgen Schröder an“, sagt er. „Der hat mit Cherif zusammengespielt, lebt noch in Neubrandenburg und ist ein guter Erzähler.“