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Die Älteren werden sich erin­nern: Am 15. Mai 1974 fand in Brüssel das Finale um den Euro­pa­pokal der Lan­des­meister zwi­schen Bayern Mün­chen und Atle­tico Madrid statt. Ich war acht Jahre alt und aus Gründen, die hier nicht weiter dis­ku­tiert werden müssen, ein Bayern-Fan. Das Spiel war mäßig und blieb torlos bis in die Ver­län­ge­rung. In der 114. Minute ging Atle­tico durch den Zufalls­treffer eines gewissen Luis in Füh­rung. In den Minuten danach ver­lief das Spiel so, dass die aus­ge­bufften Madri­lenen den Ball ständig in Rich­tung einer der Eck­fahnen hauten, wo einer der ihren das Leder derart geschickt mit dem Körper abschirmte, dass die zuneh­mend resi­gnierten Bayern kaum eine Chance hatten, auch nur in Ball­be­sitz zu kommen. Es gab kei­nerlei Hoff­nung, ich begann zu weinen.

Plat­ti­tüden von Papa

Na, wart mal ab“, sagte mein Vater, der Ball ist rund.“ Nun war ich zwar jung, doch kei­nes­wegs so naiv, um nicht zu wissen, dass mein an Fuß­ball des­in­ter­es­sierter Erzeuger den auf­ge­schnappten Satz nur anbrachte, um mich zu trösten. Sollte ich ein beschei­denes Fuß­ball­ta­lent geerbt haben, ist bestimmt nicht mein Vater dafür ver­ant­wort­lich. Gerüchten zufolge wollte man ihn sogar vom Militär sus­pen­dieren, da seine Teil­nahme am Kaser­nen­kick die Moral der Truppe zer­setzte.

Ich war also nicht zu trösten. Das Spiel hat 90 Minuten“, sprach in der 119. Minute mein Vater, mit dessen Fuß­ball­sach­ver­stand selbst die neben ihm plat­zierte Steh­lampe kon­kur­rieren konnte. Ich weinte lauter.

Sechzig Sekunden später kam im Mit­tel­feld Georg Kat­sche“ Schwar­zen­beck an den Ball, ein Mann, der die heute längst vom Zeit­geist hinweg gespülte Posi­tion des Vor­stop­pers beklei­dete, wo er ebenso zuver­lässig wie glanzlos als Adju­dant des Kai­sers“ Franz Becken­bauer wirkte. Ich konnte mich nicht erin­nern, dass Schwar­zen­beck jemals ein Tor geschossen hatte, also heulte ich weiter. Schwar­zen­beck aber drosch den Ball aus dreißig Metern aufs Tor. Nicht einmal son­der­lich prä­zise, doch hart und offenbar so über­ra­schend für den ganz auf Müller, Becken­bauer oder Hoeneß fixierten Atle­tico-Keeper, dass der gar nicht erst den Ver­such unter­nahm, den Ball am Über­schreiten der Tor­linie zu hin­dern. Der Schuss, so schmucklos wie Schwar­zen­beck selbst, schlug ein­fach ein. Es stand 1:1 nach 120 Minuten.

Schwar­zen­beck-Oden aus Hol­land

Kein Wunder, dass Atle­ticos Moral von der Wucht des Augen­blicks umge­hend zer­stört wurde. Das sei­ner­zeit noch übliche Wie­der­ho­lungs­spiel verlor die Elf einige Tage später mit 0:4. Je zweimal Müller und Hoeneß trafen, Schwar­zen­beck kon­zen­trierte sich wieder darauf, dem Kaiser den Rücken frei­zu­halten. So wäre es ihm womög­lich eher pein­lich, dass ich ihm meine erste legen­däre Fuß­bal­l­er­fah­rung ver­danke.

Dabei war es nicht der so erfolg­reiche Klub aus Mün­chen, der für mich zum Mythos wurde, denn das Bayern-Fantum hatte sich zwei Jahre später nach dem ersten Besuch auf der Bie­le­felder Alm für immer erle­digt. Auch die Schwar­zen­beck-Oden über­lasse ich anderen, etwa jenem hol­län­di­schen Fuß­ball­freund, der ob des beschei­denen Wesens des Vor­stop­pers fol­genden schönen Satz ins Internet gestellt hat: Wenn wir alle wie Schwar­zen­beck wären, dann sollte es nie mehr ein Krieg geben.“

Nein, in meinem Fall war es die Partie selbst, die zur Legende wurde, bezie­hungs­weise die letzten sechs Minuten der Ver­län­ge­rung. Als Bei­spiel dafür, welch dra­ma­ti­sches Poten­tial in diesem Spiel steckt. Ich fürchte, es ist genau jener Abend im Mai 1974, seit dem ich dem Fuß­ball ret­tungslos ver­fallen bin.