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Kyriakos Papado­poulos ist ein Berg von einem Mann. Wenn er wütend wird, zieht er sein Kinn so weit nach vorne, dass er aus­sieht wie eine Action­figur aus einem Marvel-Comic. So baut er sich dann vor Gegen­spie­lern und Schieds­rich­tern auf. In Ham­burg waren sie mächtig beein­druckt davon. End­lich mal einer, der dazwi­schen­geht. Der die Mann­schaft wach­rüt­telt und die Fans mit­reißt. Sie stat­teten ihn im Sommer 2017 mit einem hoch­do­tierten Ver­trag aus und nannten ihn Men­ta­li­täts­monster“.

Am Samstag, bei der 1:2‑Niederlage gegen Hertha, saß Papa 90 Minuten auf der Bank. Der neue HSV-Trainer Chris­tian Titz hatte ihn durch einen jün­geren Spieler ersetzt, und der Grieche nör­gelte nach dem Spiel: Es ist brutal schade, dass einige erfah­rene Spieler nicht im Kader waren, sie sind wichtig für die Mann­schaft. Das war nicht die beste Lösung.“ In diesen wilden Zeiten, da der HSV vor dem ersten Abstieg aus der Bun­des­liga steht, ver­liert man schon mal den Blick für die Rea­lität: Denn für viele Fans ist es brutal schade, dass einige erfah­rene Spieler den HSV erst in diese Lage gebracht haben. Spieler wie Chris­tian Mathenia, Mergim Mavraj, Bobby Wood, Andre Hahn, Walace, Dennis Diek­meier oder Kyriakos Papado­poulos, die am Samstag alle von Titz auf die Tri­büne oder die Bank gesetzt wurden.

Beginnt der Zer­fall oder der Neu­an­fang?

Aber Papado­poulos war nicht der ein­zige, der sich öffent­lich gegen Titz auf­lehnte. Laut Bild“-Zeitung empörte sich Dana Diek­meier, die Frau von Rechts­ver­tei­diger Dennis Die­ke­meier, über den neuen Trainer. Dann kam heraus, dass der degra­dierte Walace nicht im Sta­dion war, um die Mann­schaft von der Tri­büne aus zu unter­stützen. Er schmollte zu Hause, wäh­rend sich Titz auf der Pres­se­kon­fe­renz wegen seinen Per­so­nal­ent­schei­dungen kri­ti­sche Fragen von den Jour­na­listen anhören durfte. Ob es wirk­lich eine gute Idee war, die Eta­blierten und Platz­hir­sche aus­zu­sor­tieren, schließ­lich könnte es nun Ärger geben, mut­maßte etwa ein Reporter. Und weil sich bald wirk­lich jeder zum Thema äußern durfte, pöbelte am Sonntag auch der Ham­burger Kaba­ret­tist Wolf­gang Trepper im Sport1 Dop­pel­pass“ gegen Titz. Mit 33 Spie­lern zu trai­nieren, um dann jeden Tag zehn Spieler zu strei­chen, sei eine Mischung aus Aktio­nismus, Popu­lismus und Dumm­heit“ gewesen. Der Kicker“ resü­mierte: Der Zer­fall beginnt.“

Dabei ist das Gegen­teil der Fall.

Seit Jahren geis­tern Begriffe wie Neu­an­fang“, Auf­bruch“ und Zäsur“ durch den Volks­park. Nach jeder mise­ra­blen Saison stellen sich Ver­ant­wort­liche und Trainer vor die Presse und erklären, dass man einen Cut machen wolle. Alles auf null, alles von vorne, neue Ideen, neue Ansätze. Seit der gewonnen Rele­ga­tion 2014 geht das so. In Wahr­heit hat es den Schnitt nie gegeben. In Wahr­heit ist immer alles beim Alten geblieben.

C64-Scou­ting

Sicher, ein paar Spieler ver­ließen den Verein, ein paar neue kamen, aber ob sie zum Kader passten, schien meis­tens neben­säch­lich. Die Trans­fer­po­litik der ver­gan­genen Jahre hatte nichts Visio­näres, nichts Modernes. Der HSV war unbe­weg­lich und träge, und manchmal wirkte es, als würden sie im Volks­park mit C64-Com­pu­tern und Fax­ge­räten nach neuen Spie­lern suchen, wäh­rend andern­orts rie­sige Scou­ting- und Nach­wuchs­netz­werke über Vir­tual-Rea­lity-Tech­niken mit­ein­ander kom­mun­zierten.

Der Verein ver­kaufte Kerem Demirbay, der bei Hof­fen­heim zum Stamm­spieler und Natio­nal­spieler wurde. Er ver­kaufte Michael Gre­go­ritsch, der für den FC Augs­burg aktuell mehr Tore geschossen hat als alle HSV-Stürmer zusammen (elf). Er kaufte für sechs­ein­halb Mil­lionen Euro einen tech­nisch limi­tierten und ver­let­zungs­an­fäl­ligen Spieler wie Kyriakos Papado­po­po­lous. Er kaufte für sechs Mil­lionen Euro Andre Hahn, der zuvor eine mit­tel­mä­ßige Saison bei Borussia Mön­chen­glad­bach gespielt hatte. Er kaufte den U21-Euro­pa­meister Julian Pol­lers­beck, ließ ihn aber nicht spielen.

Die ersten zwei HSV-Trainer dieser Saison, Markus Gisdol und Bernd Hol­ler­bach, ließen sich von der Lethargie anste­cken. Nach Nie­der­lagen gab es mar­gi­nale Ver­än­de­rungen in der Auf­stel­lung und der Taktik. Aber im Grunde kroch Woche für Woche die­selbe Mann­schaft mit der­selben Spiel­idee über den Platz. Sie war wie eine alternde Rock­band, die sich seit Jahren selber coverte. Aus Angst, das Publikum mit etwas Neuem zu irri­tieren. Aus Angst, sich selbst mit etwas Neuem zu über­for­dern.

Die jüngste HSV-Startelf seit 1974

Chris­tian Titz hat nun die Instru­mente aus­ge­tauscht und vor allem die Akteure. Er krem­pelte die Mann­schaft, so weit es mit den vor­han­denen Spie­lern mög­lich war, auf links. Er hat einen Spieler wie Matti Stein­mann auf­ge­stellt, der seine Pro­fi­kar­riere eigent­lich schon abge­hakt hatte. Er hat Julian Pol­lers­beck ins Tor gestellt. Er hat Fiete Arp und Tat­suya Ito wieder in den Sturm beor­dert. Er hat die jüngste HSV-Startelf seit 1974 aufs Feld geschickt (23,9 Jahre).

Für einige drängt sich da offenbar keine andere Frage auf, ob er die Platz­hir­sche ver­stimmen könnte. Eine ultra-kon­ser­va­tive HSV-Denk­weise. Eine Denk­weise wegen der die Mann­schaft dort steht, wo sie steht. Für andere mag diese Neu­aus­rich­tung zu radikal gewesen sein. Aber das wirkt nur so, weil sich beim HSV seit Jahren nichts, aber auch wirk­lich gar nichts ver­än­dert.

Viel­leicht war nicht alles richtig, was Titz gemacht hat. Viel­leicht wäre ein zweiter Sechser sinn­voll gewesen. Viel­leicht sind einige der Jungen noch nicht reif für 90 Minuten Bun­des­liga. Viel­leicht hätte man einen Spieler wie Papado­poulos, dem sein eigenes Ego offenbar wich­tiger als die Mann­schaft ist, anders auf die neue Situa­tion vor­be­reiten müssen. So oder so: Titz ist der erste Trainer, der in diesem schwarz-weiß-blauen Wach­koma Mut bewiesen hat.

Als die Hoff­nung zurück­kehrte

Die ersten 45 Minuten gab ihm das Team Recht. Nicht nur, weil es 1:0 in Füh­rung ging. Son­dern vor allem, weil eine Idee zu erkennen war. Weil die Mann­schaft Fuß­ball spielte und ihn nicht, wie unter den vor­he­rigen Trai­nern, zer­störte. Und auch wenn der HSV am Ende verlor, auch wenn er diese Saison absteigt, kann man als HSV-Fan immerhin sagen: Es war nicht alles schlecht in dieser Saison. Einmal, am 17. März zwi­schen 15:30 und 16:15 Uhr, war es sogar ganz ansehn­lich. Es war der Tag, als die Hoff­nung in den Volks­park zurück­kehrte. Zumin­dest für 45 Minuten.

Von Papado­poulos hört man der­weil, dass er sich nicht vor­stellen kann, in der Zweiten Liga zu spielen. Als HSV-Fan kann man nur sagen: zum Glück.