Er war der Kultspieler der Neunziger mit dem Gesicht eines Vorbestraften: Trifon Iwanow. Heute vor fünf Jahren verstarb er an einem Herzinfarkt. Wir machten uns einst auf Spurensuche nach dem großen Schweiger. Eine Erinnerung.
In der Fußballschule haben sich zwei Charaktergrundzüge Iwanows herausgebildet: eine größere Liebe zum Spiel als zum Training und die Neigung zur Rebellion gegen jede Autorität. Als er anfing, hatte der Klub drei Trainingseinheiten pro Tag angesetzt. Das war für Iwanow ein Problem, weil er schnell „keine Lust mehr hatte zu laufen“. Später wurde das nicht anders, wie Gilbert Gress, 1994 Iwanows Trainer bei Neuchâtel Xamax, bestätigt: „Wenn wir Waldläufe machten, war es nicht so, dass er ging oder sich durchzuschummeln versuchte, er lief einfach in seinem Rhythmus. Allerdings konnte er auch nicht viel schneller sein, denn er hatte komplett krumme Beine.“
„Und tatsächlich, mein Name stand nicht in der Aufstellung“
Iwanow mochte Letzter beim Joggen sein, aber er war Erster, wenn es darum ging, sich Befehlen zu widersetzen. „Unser Jugendtrainer war sehr gut, aber auch sehr streng“, erzählt Balakow. „Er bestrafte uns oft, wenn wir nicht genau das machten, was er sagte. Damals im Kommunismus wurde einem zur Strafe der Schädel rasiert, und Trifon hatte oft sehr kurze Haare.“ So wundert es nicht, dass sich Iwanow gerade von dem für seine Strenge bekannten Gilbert Gress herausgefordert fühlte. „Wir durften zum Beispiel nicht mit dem Cabrio zum Training kommen, und natürlich habe ich genau das gemacht. Alles, was er verboten hat, habe ich gerade deswegen gemacht“, erzählt Iwanow. Allerdings war die Situation zwischen Spieler und Trainer von Beginn an angespannt, weil der Vereinspräsident und nicht Gress den Bulgaren verpflichtet hatte. „Als ich zum Training kam, hat Gress mich gefragt, wer ich sei und was zur Hölle ich hier mache.“
Und dann erzählt Iwanow noch die Geschichte, wie er eines Tages das Training verließ, nicht ohne Gress vorher entgegenzubrüllen, er habe keine Ahnung von Fußball. Der Trainer hingegen hat ganz andere Erinnerungen an ihr Verhältnis: „So ein Quatsch! Hatte er getrunken, als er das erzählt hat? Er war immer sehr respektvoll, auch wenn er ein bisschen wild war. Bei Trainingsbeginn habe ich jedem meiner Spieler die Hand geschüttelt und er war der Einzige, der dazu aufgestanden ist.“
Vielleicht hat Iwanow keine große Lust, als guter oder respektvoller Spieler in Erinnerung zu bleiben, und pflegt lieber das Image eines Haudegens. „Als Gress vor einem Heimspiel seine Ansprache hielt, hörte ich wie gewöhnlich nicht zu. Dann stand ich auf, um mich vorzubereiten, als mich ein Mitspieler seltsam ansah: ›Warum machst du dich warm, du spielst doch gar nicht?‹ Und tatsächlich, mein Name stand nicht in der Aufstellung. Also verzog ich mich in das Café auf der Tribüne, um mir von dort das Spiel anzusehen. Ich trank einen Kaffee, rauchte eine Zigarette, und auf einmal stand der Präsident hinter mir: ›Was machst du hier? Spielst du nicht? Ich kümmere mich darum.‹ Ich bin dann zur 15. Minute eingewechselt worden, wir haben 2:1 gewonnen, und ich habe den Siegtreffer erzielt.“
Auf der anderen Seite des Konferenztisches in seinem Büro in den Katakomben des Yvailow-Stadions, zündet Iwanow sich gerade eine dünne lange Zigarette an, als der Klubsekretär fragt: „Kaffee? Tee? Whiskey?“ Als Iwanow hier im Stadion in der ersten Mannschaft von Etar Tarnowo debütierte, war er achtzehn Jahre alt. Fünf Jahre später wechselte er in die Hauptstadt, um dort mit Hristo Stoitschkow, Ljuboslaw Penew und Emil Kostadinow die wohl beste Mannschaft in der Geschichte von ZSKA Sofia zu bilden. Unter dem Regime des kommunistischen Diktators Todor Schiwkow war es Fußballern nicht gestattet gewesen, vor dem 28. Lebensjahr ins Ausland zu gehen, aber mit seinem Sturz 1989 öffneten sich die Tore und alle hatten Lust auf etwas Neues. Penew ging zum FC Valencia, Kostadinow nach Porto, Stoitschkow zu Barca. Iwanow entschied sich für Betis Sevilla, aber die Anfänge dort waren mühsam. „Als er ankam, konnte er kein Wort Spanisch und hat nur über Gesten mit den anderen kommuniziert, wie ein Taubstummer“, erinnert sich Juan Merino, Vereinswirt bei Betis zu dieser Zeit. Aber Iwanow setzte sich nicht nur sportlich durch. „Er brachte es sogar fertig, mit andalusischem Akzent zu sprechen“, sagt Moreno.
„Der Präsident hat den Transfer verhindert“
„Trifon hatte eine große Klappe, das war einer der Gründe, warum die Mannschaft ihn zum Kapitän machte. Er hatte die Eier zu sagen, was sich sonst keiner traute und bei irgendwelchen Ungerechtigkeiten ging er auf die Barrikaden.“ Das Problem war allerdings, das zwischen seinem ersten und zweiten Engagement in Sevilla der Hauptaktionär und Präsident wechselte. Der neue Mann hieß Manuel Ruiz de Lopera, war eine Art Jesus Gil y Gil aus Sevilla und legte keinen großen Wert auf Kommunikation. „Die Infrastruktur des Vereins war schlecht, die Arbeitsbedingungen alles andere als ideal und die Gehälter wurden nicht immer fristgerecht bezahlt. Trifon warf Lopera in einer Tour vor, seine Führung des Klubs wäre der Dritten Welt angemessen.“
Als 1993 beim FC Barcelona Ronald Koeman mehrere Monate aufgrund einer Verletzung ausfiel, kam der Klub auf den Bulgaren zu. „Sie boten mir einen Vertrag an, aber der Präsident hat den Transfer verhindert“, erklärt Iwanow, während er seine dritte Kippe ausdrückt. „Er sagte, dass unsere Mannschaft ohne mich nicht funktionieren würde. Ich kann es ihm nicht vorwerfen, aus seiner Sicht war es vielleicht die richtige Entscheidung. Aber mit einem Wechsel zum FC Barcelona wäre meine Karriere vielleicht noch ganz anders verlaufen.“ Es gibt noch ein zweites Angebot, das sich im Nachhinein als verpasste Chance erwies. Von … Sturm Graz. „Damals war ich bei Austria Wien, und Ivica Osim, der Trainer von Sturm Graz, wollte mich holen. Aber meine Frau hatte damals was dagegen. Graz qualifizierte sich dann in den folgenden drei Jahren für die Champions League.“ Der Wolf betont jedoch, dass sich die Fehlentscheidungen seines Lebens ansonsten an einer Hand abzählen lassen, inklusive zweier Roter Karten. „Einmal musste ich sechs Spiele aussetzen, weil ein Spieler von Linz mich als dreckigen Bulgaren beschimpft hatte und ich ihm daraufhin meinen Ellenbogen ins Kinn gerammt habe. Und bei einem Freundschaftsspiel 1991 gegen Italien in Sofia spuckte mir Gianluca Vialli mitten ins Gesicht. Im nächsten Moment lag er schon auf dem Boden, es war wie bei Zidane und Materazzi. Ich war im Unrecht, aber kein menschliches Wesen hat seine Emotionen ständig unter Kontrolle.“ Trifon Iwanow jedenfalls nicht.