Warum wurden die Torpfosten bei der WM 1978 schwarz angemalt? Ein Schotte löste 2017 eines der größten Fußballrätsel. Oder besser: So glaubte man. Bis wir einen Kollegen auf die Jagd schickten.
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Außerdem präsentieren wir euch an dieser Stelle in den kommenden Wochen weitere spektakuläre Reportagen, Interviews und Bilderserien. Heute: Unser argentinischer Mitarbeiter Martin Mazur löst ein Mysterium. (Übersetzung und Mitarbeit: Uli Hesse)
Ich erhielt die E‑Mail am 23. Juli 2017 um 10.43 Uhr. Der Absender war ein englischer Reporter, der eine ungewöhnliche Frage hatte. War mir, als argentinischem Journalisten, das Rätsel der Torpfosten von 1978 ein Begriff? Damit ich gleich wusste, worum es ging, verlinkte der Kollege auf einen Text, der auf dem Blog In Bed With Maradona veröffentlicht worden war und der für ein solches Aufsehen gesorgt hatte, dass der „Guardian“ ihn übernahm und einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte.
Wir waren gerade in Holland, um über die Frauen-EM zu berichten. An jenem Tag sollte ich nach Breda reisen, wo England gegen Spanien spielte. So speicherte ich mir den Artikel ab, damit ich ihn in Ruhe auf der Zugfahrt lesen konnte. Die Reise wurde nicht nur eine nach Breda, sondern eine zurück in die argentinische Geschichte und meine Kindheit.
Der Text stammte von einem Schotten namens David Forrest, der die WM 1978 als Zehnjähriger im Fernsehen verfolgt hatte und von einem Detail fasziniert war: den breiten schwarzen Streifen am unteren Ende der Torpfosten. Forrest sah sie, als Peru in Cordoba gegen Schottland gewann und später auch beim Finale zwischen Holland und Argentinien. Vier Jahrzehnte lang fragte er sich, was das sollte, bis er bei einem Urlaub in Buenos Aires zufällig einen Kellner namens Ezequiel Valentini traf, der früher zum Stadionpersonal von River Plate gehörte. Valentini verriet Forrest ein Geheimnis: Jene schwarzen Markierungen waren ein stummer Protest gegen die Militärjunta. Ein für die ganze Welt sichtbarer und gleichzeitig versteckter Verweis auf die Desaparecidos – die Menschen, die das Regime verschleppt hatte.
Was für eine Pointe! Es passiert ja nicht selten, dass das Auge eines Fremden ein Mysterium entdeckt, auf das die Einheimischen gar nicht achten. Und so glaubte ich die Geschichte. Für einen Moment. Doch da war etwas, das mich stutzig machte. In den frühen Neunzigern war ich alle zwei Wochen in La Bombonera bei den Boca Juniors. Bevor Torwart Navarro Montoya seinen Posten einnahm, zog er stets mit seinem Schuh drei Linien zur Orientierung in den Rasen. Dann stellte er sich an den Pfosten und säuberte die Stollen. Noch heute habe ich das Geräusch in den Ohren: tinn, tinn, tinn. Vor allem aber sehe ich das untere Ende des Pfostens vor mir. Es war in den Vereinsfarben bemalt.
In praktisch allen Stadien, an die ich mich erinnern kann, waren die Pfosten farbig. Meistens schwarz, aber es gab auch Ausnahmen. Velez Sarsfield hatte blau-rote Pfosten, bei den Argentinos Juniors waren sie rot. Kaum zu glauben, dass das immer noch ein Protest gegen die Militärjunta sein sollte, die das Land doch seit 1983 nicht mehr beherrschte. Andererseits war es natürlich möglich, dass etwas, das 1978 als geheime Botschaft begonnen hatte, zu einer Mode geworden war. Aber ich war skeptisch. Darum las ich den Text von Forrest noch einmal gründlicher.