Deutschland hat das EM-Finale verpasst. Was wir deswegen verpassen, ist eine siegestrunkene Bundeskanzlerin, die sich durch die Kabine schlängelt, während die DFB-Kicker durch die Dusche schlittern. Philipp Köster über kostenlose PR, frisch erworbene Schals und gut gespielten Jubel.
Zum Alltag jedes Politikers gehört, sich hin und wieder als Mensch zu präsentieren, abseits grauer Sitzungssäle und Pressekonferenzen. Deshalb kosten sie bei Stadtteilfesten aus der hoffnungslos überwürzten Nicaragua-Pfanne und beißen in jede Bratwurst, die ihnen hingehalten wird, bevorzugt aber schauen sie beim Fußball vorbei. Denn nirgendwo können Politiker sich so volksnah geben wie auf den Ehrentribünen. Schnell noch den fabrikneuen Schal umgehängt, den der Referent in letzter Minute besorgt hat, ab auf den Schalensitz und genau dann den emotionalen Turbo anwerfen, wenn die Führungskamera die Tribünen abschwenkt. Man kann dabei Pech haben wie Innenminister Friedrich, der beim Länderspiel gegen Griechenland in Danzig zwar neben der Kanzlerin und DFB-Präsident Niersbach saß, von der Uefa-Kamera aber mitleidslos abgeschnitten wurde – wegen offenkundiger internationaler Bedeutungslosigkeit. Merkel hingegen macht das schon ganz richtig. An ihrer Performance gibt es wenig zu kritteln. Geschenkt dabei, dass die Kanzlerin nach Toren immer ungefähr so klatscht wie Mutti, deren Kind gerade in der Kita mit Knete etwas geformt hat, das entfernt nach Vati aussieht. Aber sie ist auf der Tribüne immer top ausgeleuchtet, und ihre Freude an den deutschen Toren wirkt, wenn schon nicht echt, dann aber zumindest gut gespielt. So gut gespielt, dass wir fast vermuten, Merkels Jubel sei womöglich gar nicht live, sondern vor dem Spiel aufgezeichnet und von der Uefa im richtigen Moment eingeblendet worden. Eine eindeutige Win-win-Situation ist das. Und deshalb will die Kanzlerin gerade in stürmischen Zeiten nicht auf diese wunderbare, kostengünstige PR verzichten. Nur konsequent also, dass sie in der Vorrunde den Protest gegen die Inhaftierung der Oppositionspolitikerin Timoschenko für extrem wichtig hielt, weil ein mutiges Eintreten für Menschenrechte immer gute Presse gibt. Wohingegen ein EM-Finale und die daraus resultierende TV-Präsenz zur Primetime dann vielleicht doch noch ein bisschen wichtiger sind als die immer noch inhaftierte Timoschenko. Nun ist die deutsche Elf also nicht ins Finale eingezogen. Herrliche TV-Bilder werden also ausbleiben. Aufgezeichnet auf der Tribüne und natürlich auch in der deutschen Kabine, in der Merkel nichtsdestotrotz sicher bald einen eigenen Spind bekommt. Was nicht jeder im Team so richtig super findet, weil der sinnfreie Politikerauftrieb immer wieder den Dienstplan beim Duschen durcheinanderbringt und die Dialoge zwischen Spielern und Kanzlerin ungeschnitten bei „Nonstop Nonsens“ laufen könnten. Aber jeder muss Opfer bringen. Dafür, dass sich Merkel auch mal als Mensch präsentieren kann.