Chinas Fußball rüstet auf, zum Teil mit abstrusen Angeboten. Ottmar Hitzfeld lässt das kalt. Andere nicht.
25 Millionen Euro. Für 16 Monate Arbeit. Das macht knapp 1,6 Millionen im Monat. Wo lässt sich so viel Geld verdienen? In sieben Jahren als Trainer des FC Bayern München jedenfalls nicht. Das ließ zumindest Ottmar Hitzfeld jüngst verlauten und der muss es wissen. Der Meisertrainer staunte also höchstwahrscheinlich nicht schlecht als ihm im Mai dieses Angebot ins Haus flatterte: Serienmeister Guangzhou Evergrande bot ihm 25 Millionen Euro für die bereits begonnene Spielzeit 2015 (Der Spielbetrieb der chinesischen Super League erstreckt sich zwischen März und Oktober) und die folgende Saison. Netto plus Prämien, versteht sich.
Nun ist Ottmar Hitzfeld allerdings jemand, dem man nachsagt, ruhig, besonnen und auch im Erfolg immer bescheiden zu sein. Seine Trainerkarriere verlief geradezu klischeehaft gradlinig: Nach Anfangsjahren bei SC Zug, FC Aarau und den Grashoppers Zürich sechs Jahre bei Borussia Dortmund, insgesamt acht mit den Bayern. Konstanz als Erfolgsprinzip: Zu Buche stehen sieben Deutsche Meistertitel, dreimal der Pokalsieg und, ach ja, immerhin zweimal der Gewinn der Champions League. Zum Ausklang das Amt des Schweizer Nationaltrainers zur WM 2014. Danach dann doch noch einmal des Geldes wegen für ein paar Monate nach Fernost? Schwer vorstellbar.
Familie statt Millionen
„Ja, es stimmt, dass ich in eineinhalb Jahren mehr verdient hätte als in sieben Jahren bei Bayern München“, so Hitzfeld. Trotzdem lehnte er ab. Eine Entscheidung, die bei anderen Kandidaten als charakterstark kommentiert worden wäre. Bei Hitzfeld überrascht es indes nicht, zu klar war seine Absicht, nach der Herzensangelegenheit Schweizer „Nati“ den Trainerjob an den Nagel zu hängen. Endlich Zeit für die Familie: „In einer Woche heiratet mein Sohn Matthias. Im September werde ich zum ersten Mal Opa. Meine Frau und ich haben eine wunderschöne Zeit vor uns“, so Hitzfeld. Nichts zu machen, der Mann ist raus aus dem Geschäft.
Doch wie kommt es, dass ein chinesischer Verein mit derart astronomischen Trainergehältern um sich wirft? Und warum ausgerechnet Hitzfeld? Dafür muss man sich den Aufstieg der chinesischen Super League und vor allem ihrer finanzstarker Spitzenvereine ansehen.
So galt die Wirtschaftsweltmacht fußballerisch lange Zeit als Entwicklungsgebiet. 2012 erschien China dann in typischer Publicity-Manier mit Hype-Transfers ausländischer Altstars auf der Fußball-Landkarte. Nicolas Anelka wechselte im Januar zu Shanghai Shenhua, Didier Drogba folgte im Juli. Neue sportliche Herausforderungen haben beide – schon damals im betagteren Fußballeralter – sicherlich nicht gesucht: Die Karriere ruhig ausklingen lassen, noch einmal finanziell etwas abgreifen und nebenbei eine neue Kultur kennenlernen, das könnte eher der Plan gewesen sein. Schnell machten sich die Legionäre jedoch wieder vom Acker.
Bestes Beispiel für diesen Karriereentwurf ist Ex-Dortmunder Torjäger Lucas Barrios. Ebenfalls 2012 wechselte er nach zwei Meistertiteln mit dem BVB als damals 27-Jähriger zu Guangzhou Evergrande. Unter Coach Marcello Lippi kam er nur zu wenigen Einsätzen und fühlte sich wie im „goldenen Käfig“, wie er dem „Kicker“ berichtete. Vom versprochenen 5,5 Millionen-Gehalt kam angeblich nur die Hälfte an. Eine Saison später war auch er wieder auf der Suche nach einer Anstellung in Europa, fand aber keinen Anschluss mehr, wurde von Spartak Moskau nach Montpellier verliehen und spielt inzwischen bei Palmeiras São Paulo.
Chinas Super League als Karrieregrab, der Ruf scheint sich zu festigen. Der nächste Kandidat könnte Ex-Hoffenheimer Demba Ba sein. Nach Stationen in Newcastle und bei Chelsea, wechselt er Anfang Juli für umgerechnet 13,5 Millionen Euro von Besiktas Istanbul zu Shanghai Shenhua.
Finanziell auf Bundesliga-Niveau
Also alles beim Alten in China? Journalist James Young sieht das anders. Er lebt in Brasilien, schreibt über die dortige Szene für Sports Illustrated, The Independent oder ESPN. Seine These: China könnte die neue Adresse für aufstrebende Stars aus der brasilianischen Liga werden. Die befindet sich in der finanziellen Krise und auch in Europa ebbt das Interesse an jungen brasilianischen Spielern ab. Die finanzstarken Vereine in China leben von den Sponsorengeldern der boomenden Wirtschaft. Evergrande aus der Millionenmetropole Guangzhou gehört zur Hälfte dem Versandhandel-Unternehmen Alibaba und könnte mit einem stattlichen Marktwert von 49 Millionen Euro finanziell locker in der Bundesliga mithalten.
Auch der in Guangzhou lebende Sportjournalist Christopher Atkins verweist auf das steigende Niveau der chinesischen Super League: „Die führenden drei bis vier Klubs in China könnten in der brasilianischen Liga mithalten, das zeigt etwa Evergrandes Auftreten gegen Atlético Mineiro bei der Klub-WM 2013“. Knapp verlor das Team im Spiel um Platz drei mit 2:3.
Belegen soll diese These die Karriere von Ricardo Goulart, der bei Evergrande unter Vertrag steht. Zu Beginn der Saison wechselte der damals 23-jährige Torjäger für 15 Millionen Euro vom brasilianischen Meister Belo Horizonte zu Evergrande, Er schlug voll ein, war in 21 Spielen an 24 Toren beteiligt. Nach anfänglichem Wertverfall ob des schlechten Rufes des chinesischen Fußballs steigt sein Marktwert derzeit wieder.
Ein alter Bekannter als Vermittler
Dass Hitzfeld Teil dieser neuen Entwicklung hätte sein können, hat er einem alten Bekannten aus Dortmunder Tagen zu verdanken. Júlio César, brasilianischer Abwehrrecke beim BVB zu Zeiten des Champions-League-Triumphs 1997, arbeitet inzwischen als Spielerberater und hat auch bei Guangzhou Eisen im Feuer. Als der Verein auf der Suche nach einem neuen Coach war, brachte César Hitzfeld ins Spiel. Doch der zweimalige Champions-League-Sieger lehnte höflich ab.
Eine Alternative zu Hitzfeld wurde in Guangzhou im Übrigen schon längst gefunden. Luiz Felipe Scolari trainiert seit Juni die Kicker von Evergrande. Für den Weltmeistertrainer von 2002 ist es die 25. Station seiner Karriere. Jobs in Kuwait und Saudi-Arabien lassen finanzielle Motivationen vermuten, Scolari wirkt wie die Antithese zu Hitzfeld. Für den mit fünf brasilianischen Legionären gespickten Kader ist er ein guter Ersatz. Scolari ist jetzt 66 Jahre alt, zwei Monate älter als Hitzfeld. Der genießt lieber einen neuen Lebensabschnitt im Kreise seiner Familie. Es gibt bekanntlich Dinge, die kann man mit Geld nicht kaufen.