Glenn Murray ist 34 Jahre alt und steht kurz vor seinem Länderspieldebüt für England. Dabei hat er bisher alles andere als eine steile Karriere hingelegt.
Alexander „Alec“ Morten wurde am 15. November 1831 geboren. Vielleicht auch erst einige Monate später, ganz sicher sind sich die Fußballhistoriker nicht. So oder so ist Morten der älteste Fußballspieler, der je für die englische Nationalelf debütiert hat. Am 8. März 1873, vorgestern vor 145 Jahren, spielte England in seinem zweiten Länderspiel überhaupt gegen Schottland. Im Tor stand der damals bereits 41-jährige Morten in seinem ersten und einzigen Länderspiel.
Legendär ist auf der Insel auch Leslie Compton, der 1950 zweimal für England auflief. Kein Feldspieler war bei seinem ersten Spiel älter als die 38 Jahre, die Compton schon auf der Uhr hatte. Er ist außerdem der älteste englische Debütant überhaupt seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
34 Jahre und 114 Tage
Von diesen Zahlen ist Glenn Murray noch ein gutes Stückchen entfernt. Dennoch geistert sein Name gerade gemeinsam mit Morten und Compton durch die englische Sportpresse. Es wird gemunkelt, Nationalcoach Gareth Southgate werde ihn für die anstehenden Testspiele der Three Lions gegen die Niederlande und Italien in den Kader berufen. Und Murray steht eigentlich auch fast vor der Sportler-Rente: Bei einem möglichen Debüt gegen die Holländer wäre er 34 Jahre und 114 Tage alt.
Trotz dieses für einen Nationalmannschaftsaspiranten beinahe schon biblischen Alters hat Murray einige Fürsprecher. In der aktuellen Torjägerliste der Premier League liegt er mit elf Treffern immerhin auf Platz acht. Lediglich drei Engländer sind treffsicherer: Jamie Vardy, Raheem Sterling und — natürlich — Harry Kane. Zumal Murray nicht bei einem der Topteams unter Vertrag steht, sondern beim Aufsteiger Brighton & Hove Albion.
Fünf Treffer in fünf Spielen
Zugegeben, „die Möwen“ aus dem Seebad an der britischen Südküste spielen eine bemerkenswerte Runde und stehen auf einem sicheren zehnten Platz des Tableaus. Und das obwohl sie erst ihre allererste Premier-League-Saison überhaupt bestreiten. Der Anteil ihres Sturm-Opas am Erfolg ist dabei vor allem in diesem Jahr enorm. In den vergangenen fünf Liga-Partien traf er fünfmal.
So auch am letzten Sonntag bei Brightons Heimsieg gegen den FC Arsenal. In der 26. Spielminute, es steht bereits 1:0 für die Gastgeber, nickt Murray eine Flanke aus dem Halbfeld per Aufsetzer ins Tor. Ein Tor, wie er schon viele erzielt hat. Und von dem manch anderer in seinem Alter schon ein paar Tage Muskelkater bekommt. Murray selbst sagt, dass er nicht der Schnellste ist. Aber er ist ein sehr durchsetzungsstarker Spieler, kann die Bälle abschirmen und hat zudem ein erstklassiges Kopfballspiel. Seine Tore schießt er in aller Regel nahe der Fünf-Meter-Linie. Er bewundert das Spiel von Olivier Giroud, der im Winter zu Chelsea gewechselt ist und tatsächlich ein ähnlicher Spielertyp ist (und seinen Zenit eigentlich auch schon überschritten hat).
Murray profitiert außerdem von einem Vorlagengeber, der ebenfalls in der Form seines Lebens zu sein scheint. Auch sein Treffer gegen Arsenal wurde von Pascal Groß vorbereitet, das Zusammenspiel mit dem ehemaligen Hoffenheimer und Ingolstädter Bundesliga-Kicker funktioniert hervorragend. Nur vier Premier-League-Spieler haben mehr Assists auf dem Konto als Groß.
Sollte Murray wirklich mit 34 Jahren noch für England auflaufen, wäre das eine faustdicke Überraschung. Es ist nicht so, dass er einer dieser Spieler ist, die zeit seiner Karriere immer kurz vor dem Nationalmannschaftsdebüt standen. Im Gegenteil: Den Großteil seiner Laufbahn verbrachte er in unterklassigen Ligen. Erst 2014 spielte er erstmals in der Premier League.
Der Durchbruch war ihm allerdings schon in der Vorsaison gelungen. 30-mal traf er 2012/13 für Crystal Palace und hält damit den Torrekord in der Championship, der zweiten Liga Englands. Seinem Team verhalf er damit zum Aufstieg und avancierte zum Publikumsliebling. Nun spielt Murray ausgerechnet in Brighton, die mit Crystal Palace eine der erbittertsten Rivalitäten im englischen Fußball pflegen. Womöglich wird er noch Brightons Rekord-Nationalspieler. Die Messlatte von drei Einsätzen Steve Fosters in den 1980ern liegt nicht besonders hoch.
Krumme Geschäfte im „Dirtybird“
Murray dürfte sich glücklich schätzen, wieder hauptsächlich sportliche Schlagzeilen zu schreiben. Ende Januar wurden er und seine Frau kurzzeitig festgenommen und sein Haus von den britischen Steuerbehörden durchsucht. Es geht um Steuerhinterziehung über mehr als eine Million Pfund, die Ermittlungen dauern an. Unter anderem soll Murray in krumme Geschäfte rund um ein Restaurant namens „Dirtybird“ verwickelt sein.
Vielleicht schreibt Englands neuer, alter Länderspieldebütant also auch eine eigene skurrile Geschichte. Seinen prominenten Vorgängern würde er es damit gleichtun. Alec Morten spielte nicht nur 1873 für England gegen Schottland. Drei Jahre vorher hatte er schon für Schottland gegen England im Tor gestanden. Und Leslie Compton stand nicht nur zweimal für England und 253-mal für Arsenal auf dem Platz, er bestritt außerdem eine erfolgreiche Cricket-Karriere.