Das 0:2 in Wolfsburg war für den VfB Stuttgart die sechste Niederlage im neunten Spiel unter Markus Weinzierl. Doch der Trainer ist nicht alleine schuld an der sportlichen Talfahrt. Vier Gründe, warum es bei den Schwaben auch in dieser Saison nicht läuft.
1. Der VfB ist auf der Suche nach sich selbst
Jahrelang war der VfB Stuttgart für seine herausragende Jugendarbeit bekannt. Zahlreiche Talente fanden über die VfB-Jugend den Weg in die Profimannschaft. Unter dem damaligen Jugendkoordinator Thomas Albeck verfolgte man die klare Vereinsphilosophie: Jugendspieler selber ausbilden und an die Profi-Mannschaft heranführen. Das Konzept fand seinen Höhepunkt mit der Meisterschaft im Jahr 2007. Spieler wie Sami Khedira, Mario Gomez oder Timo Hildebrand kamen alle aus dem eigenen Nachwuchs und waren fester Bestandteil der Meistermannschaft.
Nach der Meistersaison 2007 ging die Vereinsphilosophie immer mehr verloren. Immer wieder holte man überteuerte Spieler wie beispielsweise Pawel Pogrebnjak oder Mohammed Abdellaoue. Zusätzlich verpasste man es Joshua Kimmich, Bernd Leno, Sead Kolasinac und Thilo Kehrer eine Perspektive aufzuzeigen und längerfristig an den Verein zu binden. Mittlerweile sind die genannten Spieler feste Bestandteile in europäischen Top-Mannschaften.
Mit Timo Baumgartl steht derzeit ein einziger Spieler im aktuellen Profi-Kader, der aus der eigenen Jugend stammt und regelmäßige Einsatzzeiten vorweisen kann. Christian Gentner hat seine Schuhe bereits vor der Saison 2015/2016 für die Schwaben geschnürt, alle anderen Spieler sind in den letzten drei Jahren zum VfB gewechselt. Vor der Saison hat man mit Daniel Ginczeck und Mathias Zimmermann zwei wichtige Spieler abgegeben, die innerhalb der Mannschaft und im Verein hoch angesehen waren und als Identifikationsfiguren galten. Vor allem in Zeiten des sportlichen Misserfolges bedarf es einer klaren Hierarchie, Struktur und Identifikation. Diese Aspekte scheinen bei den Schwaben verloren gegangen zu sein.
2. Neuer Trainer, altes Problem
15 Trainerwechsel seit dem Meisterjahr 2007 sprechen eine deutliche Sprache. Der VfB löst Probleme nur auf Zeit. Mit Hannes Wolf hat man im letzten Jahr einen Trainer entlassen, der die Förderung von jungen Talenten vorantreiben wollte. Nach der Entlassung von Wolf verpflichtete man wiederrum mit Tayfun Korkut einen Trainer, der auf erfahrene Spieler setzte.
Mit der Verpflichtung von Korkut verfolgte man das Ziel, mit aller Macht in der Bundesliga zu bleiben. Der Klassenerhalt mag finanziell enorm wichtig sein, dennoch hat man sich mit der Entlassung von Wolf gegen einen Trainer mit einer klaren Philosophie und für eine vermeintlich sichere Lösung entschieden. Das Ergebnis neun Monate später war wiederrum die Entlassung von Tayfun Korkut.
Seit Mitte Oktober ist Markus Weinzierl Trainer und forderte bei seiner ersten Pressekonferenz „Mut in allen Bereichen“. Nach neun Spielen unter der Leitung von Weinzierl fehlt von einer Verbesserung oder gar „Mut in allen Bereichen“ jede Spur. Zudem kann Weinzierl keine Spielidee entwickeln, im Gegenteil. In den ersten drei Begegnungen taktierte Weinzierl mit drei unterschiedliche Spielsystemen. Die Horror-Bilanz: drei Spiele, null Punkte, 0:11 Tore. Anschließend entschied er sich, von seinem offensiv-Konzept abzuweichen und sich vorerst auf die defensive Grundstabilisation zu konzentrieren. Die Umstellung zeigte in Ansätzen Wirkung und der VfB mühte sich gegen Nürnberg zu einem 2:0 Sieg. Die Tore resultierten aus Standartsituationen.
In den darauffolgenden Spielen gegen Leverkusen, Augsburg, Gladbach und zuletzt Hertha BSC ließ Weinzierl eine Mischung aus 5−3−2 und 4−5−1 spielen. Die Idee: Defensiv geordnet stehen und mit langen Bällen auf Konter zu lauern. Ohne Erfolg. Der VfB hat unter Weinzierl 19 Gegentore kassiert und nur fünf mal selber getroffen. Außerdem verlor die Mannschaft in vier von neun Spielen innerhalb von wenigen Minuten die Grundordnung und fiel zeitweise komplett auseinander. Diese massive Instabilität scheint derzeit die einzige Veränderung zu sein, die unter Markus Weinzierl erkennbar ist.
3. Michael Reschke in der Kritik
Vor der Saison gab sich Sportvorstand Michael Reschke selbstsicher: „Der VfB Stuttgart wird nichts mit dem Abstieg zu tun haben, da lege ich mich fest“. Er investierte 35 Millionen Euro in Neuzugänge wie Daniel Didavi, Pablo Maffeo oder Nicolás González und stimmte damit die Fans optimistisch, die von der Europa-League-Qualifikation träumten. In der Realität angekommen, legte man den schlechtesten Bundesliga-Start der Vereinsgeschichte hin. Anfang November ruderte Reschke zurück: „Ab jetzt geht es nur noch darum, die Klasse zu halten“.
Das Transfer-Konzept von Michael Reschke bestand aus einer Mischung von gestandenen Bundesliga-Profis und jungen Talenten. Mit Gonzalo Castro wurde ein Spieler im fortgeschrittenen Fußballeralter verpflichtet, der in Dortmund immer mehr in den Schatten seiner Konkurrenten gerückt war. Auch Daniel Didavi spielte in Wolfsburg eine Saison mit Höhen und Tiefen. Nicoláz Gonzales, Pablo Maffeo und Borna Sosa sind zwar hoffnungsvolle Talente. Allerdings kommen alle drei aus dem Ausland. Eine gewisse Eingewöhnungszeit war zu erwarten.
Ein weiteres Problem: Mit 25 Spielern haben die Schwaben den drittkleinsten Kader in der Bundesliga. Bei derzeit acht Verletzten kann kein Ausfall gleichwertig kompensiert werden. Auf Formschwächen einzelner Spieler kann Trainer Weinzierl schlichtweg nicht reagieren. Über mögliche Wechsel in der Winterpause wird bereits seit Wochen spekuliert. Unter anderem sollen sich die Funktionäre mit einem Wechsel von Patrick Hermann beschäftigen. Einem verletzungsanfälligen Spieler, der in der letzten Saison bei Borussia Mönchengladbach lediglich drei Bundesligaspiele über die vollen 90 Minuten absolvierte. Reschke zeigte sich optimistisch und kündigte zusammen mit Vereinspräsident Wolfgang Dietrich eine erneute Transferoffensive an.
4. Wo sind die Leitwölfe?
Mario Gomez, Christian Gentner und Gonzalo Castro sollten als Leitwölfe die junge Mannschaft führen. Doch gerade die erfahrenen Profis stecken in einer massiven Formkrise. Mario Gomez hat zwar am Wochenende gegen die Hertha seine Torflaute von mehr als 650 Minuten ohne Bundesliga-Treffer beendet. Dennoch wirkt er in dieser Saison oft nur noch wie ein Schatten seiner selbst.
Auch Kapitän Christian Gentner, der sich nur drei Tage nach dem tragischen Tod seines Vaters in den Dienst der Mannschaft stellte und gegen Wolfsburg spielte, rennt seiner Form hinterher. Ob auf den Außenbahnen oder im Zentrum, Gentner bekommt keine Bindung zum Spiel. Außerdem offenbart er massive Defizite im Positionsspiel und in der Zweikampfführung (Zweikampfqoute 47%).
Conzalo Castro ist überhaupt noch nicht im Schwabenland angekommen, zumal seine Rolle im System von Weinzierl unklar erscheint. Auf die Frage nach Castros Defensivstärken, entgegnete der Trainer mit den Worten: „Ich sehe seine Stärken in der Offensive“.
Ein weiteres Missverständnis, dass es beim VfB zu klären gilt. Die Frage bleibt nur: Mit welchem fängt man an?