Wie bitte, in der Bundesliga wird längst wieder gespielt? Und Schalke ist immer noch so schlecht? Und Borussia Mönchengladbach verliert erste Sympathiepunkte? Gut, dass Tommi Schmitt an dieser Stelle erklärt, was ihm im Fußball wirklich wichtig ist.
Machen Sie sich Sorgen um die Existenz des Vereins?
Nein. Wirklich Sorgen müssen sie sich auf Schalke erst machen, wenn die Stadionbesucher auf die Idee kommen, das noch schlummernde Guthaben auf ihren Knappenkarten einzufordern.
Apropos Kohle. Das Geld von Clemens Tönnies hat der Verein abgelehnt. Die richtige Entscheidung?
Selbstverständlich. Ansonsten hätten sie ihre Würde auch direkt mit in die 99-Cent-Sülze drücken können.
Und jetzt haben wir doch schon wieder länger über Schalke geredet.
Warum fragt ihr auch immer!
Ist Ihnen denn sonst noch etwas aufgefallen?
(Überlegt.) Ja. Ist Ihnen aufgefallen, wie die Kritik an RB Leipzig abebbt? Die Menschen sagen vermehrt Sätze wie: „Jetzt reicht’s auch langsam mit der Kritik. Die spielen doch so einen tollen Fußball!” Die Leute knicken in ihrer Moral ein, auch in den Sozialen Medien kippt die Stimmung. Die Generation SportBible-FIFA-Twitch will nun mal dynamischen Fußball mit jungen, coolen Leuten sehen. Wie der zustande kommt, ist wurscht. Der Sohn eines Freundes geht in Nordrhein-Westfalen(!) in die Schule. Und da ist RB das große Ding. Jeder will ein Trikot haben.
Woran liegt das?
Ich glaube, dass auch die zunehmende Popularität des US-Sports dazu beiträgt, dass die jüngeren Leute offener sind für diese Konstrukte. Das ist ein ganz anderes Wertesystem. In einer Diskussion über die Bundesliga würden die sagen: „Soll Schalke doch mehr Geld ausgeben oder sich Investoren holen, wenn sie Erfolg haben wollen!“ Denen brauchst du mit einem soliden Argument wie „Etat“ nicht kommen.
Herr Schmitt, gibt es irgendetwas, das Ihnen unerwartet Freude bereitet im Fußball?
Leverkusen gefällt mir. Ich weiß noch, wie Rudi Völler im Vorfeld der Saison dafür kritisiert wurde, dass er keinen adäquaten Ersatz für Kai Havertz oder Kevin Volland verpflichtet hat. Weil viele Leute vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist, wenn Spieler, auf deren Schultern die gesamte Verantwortung lag, Klubs verlassen: die anderen blühten auf. Egal, ob Michael Ballack in der Nationalelf, Diego bei Werder Bremen oder Marko Marin bei Gladbach: die Lücken schlossen die Mannschaften stets gemeinsam und gingen gestärkt daraus hervor. Andere Akteure konnten aus dem Schatten treten und auf sich aufmerksam machen. So nun auch in Leverkusen, wo Lucas Alario plötzlich abgeht wie Schmitz’ Katze oder Florian Wirtz so richtig Laune macht. Die Genugtuung bei Völler und Peter Bosz muss ob der vorausgegangenen Kritik nun außerordentlich sein. Anders ausgedrückt: Ich will gar nicht wissen, wie groß die Eier gerade bei Bayer sind. Hoffentlich gibt’s da was von Ratiopharm.
„Da würde ich gerne wieder hin, wenn alles wieder so ist, wie früher. Bierchen in der Sonne, später in den Gästeblock und danach in die Stadt. Neue Menschen, neue Kneipen, neue Geschichten“
Leverkusen abzufeiern, das ist aber schon sehr offensichtlich. Lassen Sie uns lieber über die kleinen, tollen Vereine, die Spieler in der zweiten Reihe sprechen. Zum Beispiel über die 2. Liga!
(Überlegt.) Was passiert denn da? In der 2. Liga? Guckt die noch jemand während der Pandemie? Ich gebe es zu: Ich habe in dieser Saison noch nicht eine Sekunde gesehen. Ich glaube, sogar die Harald-Schmidt-Show hatte auf Sky mehr Zuschauer als die Einzelspiele der 2. Liga. Wer ist denn zurzeit Tabellenführer? Hamburg, oder?
Richtig.
Wahnsinn, wie das an mir vorbeigeht. Ansonsten bin ich ein großer Fan der 2. Liga, aber wie gesagt: Sky Go, HDMI-Kabel, alles sehr anstrengend. (Grübelt.) Simon Terodde trifft wahrscheinlich wieder wie im Fließband, korrekt?
15 Tore in 14 Spielen.
Unfassbar. Dem muss jetzt endlich einer sagen, dass er für immer in der 2. Liga bleiben soll. Es gibt einfach diese Spieler, die eigentlich für eine Liga zwischen der Ersten und der Zweiten geschaffen sind. Aber die gibt’s nun mal nicht. Terrodde erinnert mich immer an Jenny aus „Forrest Gump“, die bei Forrest ihr großes Glück gefunden hat, aber immer wieder glaubt, abhauen zu müssen, um das vermeintlich größere Glück zu suchen, und dann stetig auf die Schnauze fliegt. Man möchte ihr zurufen: Jenny, jetzt bleib doch endlich beim Forrest, da ist dein Platz! Oder: Simon, bleib doch in der 2. Liga, da gehörst du hin!
Gibt es einen Zweitligisten, den Sie gerne wieder in der Bundesliga sehen würden?
Natürlich den VfL Bochum, ist doch logisch. Aber auch den 1. FC Nürnberg! Mich verbindet zunächst nichts mit diesem Verein, aber ich würde mich sehr freuen, wenn die mal wieder aufstiegen. Einfach weil Nürnberg die beste Stadt für eine Auswärtsfahrt ist. Das Bier, der Verein, das Max-Morlock-Stadion, die Stadt, die Tradition und auch diese doch sehr gruselige Umgebung rund um das Stadion. Am 33. Spieltag der Saison 2018/2019 war ich dort, wir gewannen 4:0, Nürnberg stieg dadurch ab, wir sicherten uns damit den Einzug in die Europa League. Eine absurde, aber absolut respektvolle Stimmung herrschte im Stadion. Deren Abstieg kam genauso wenig überraschend wie unser gezogenes Europa-Ticket. Anschließend gab’s sehr viele dunkle Biere in der Altstadt und eine Feier, bis die Sonne wieder majestätisch über dem Frankenland schien. Ob sie wirklich schien, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr. Aber in meiner Erinnerung tut sie es. Den „Club“ verbinde ich also mit einer der besten Auswärtsfahrt meines Lebens. Da würde ich gerne wieder hin, wenn alles wieder so ist wie früher. Bierchen in der Sonne, später in den Gästeblock und danach in die Stadt. Neue Menschen, neue Kneipen, neue Geschichten. Oh Gott, ich vermisse den normalen Fußball so sehr.