Am Samstag steigt der Abstiegsknaller. Was spricht für eine erneute Relegation für den HSV, was für eine Wolfsburger Niederlage? Wir blicken voraus.
Wie oft muss man eine Ausnahmesituation erleben, bis die Ausnahmesituation zur Normalität wird? Genau diese Frage möchte man sich in Hamburg dieser Tage eigentlich nicht stellen. Sie käme automatisch auf, wenn der Hamburger SV zum dritten Mal in vier Jahren die Relegation erreicht. Ist die Relegation dann überhaupt noch Ausnahmesituation, oder nurmehr lästiges Anhängsel einer abermals verkorksten Saison?
Am Samstagnachmittag hat der HSV die große Chance, die Relegation zu vermeiden. Mit einem Sieg gegen Wolfsburg ist ihnen der direkte Klassenerhalt sicher. Wolfsburg wiederum könnte bei einer Niederlage den Relegationsrang erben, sollte der FC Augsburg nicht mit zwei Toren Unterschied höher verlieren. Was spricht für Hamburg, was für Wolfsburg? Wir blicken voraus auf das Abstiegsfinale.
Pro Wolfsburg: Hamburgs Spielschwäche
Elf Punkte aus elf Spielen. So lautet die Bilanz des Hamburger SV gegen die übrigen Abstiegskandidaten. Nur Darmstadt punktete weniger gegen die Kellerkinder. Der HSV tut sich diese Saison äußerst schwer in direkten Duellen mit der Konkurrenz. Zuletzt gab es ein 0:0 gegen Mainz, ein 0:4 gegen Augsburg und ein 1:2 gegen Darmstadt.
Das ist kein Zufall: Das Spielsystem von HSV-Trainer Markus Gisdol ist ganz auf das Pressing ausgelegt. Sein Team soll schon am gegnerischen Sechzehner stören und den Ball möglichst weit vorne erobern. Dies hat absolute Priorität; der Spielaufbau wird eher vernachlässigt. Die Hamburger Spielart, sehr viel mit langen Bällen und schnellen Gegenstößen zu operieren, funktioniert gegen die Favoriten, nicht aber gegen die Nachbarn aus dem Tabellenkeller. Diese spielen ebenfalls viele hohe Bälle und überlassen den HSV den Ball; das liegt den Hamburgern eher nicht.
Denkbar wäre, dass Wolfsburg im bevorzugten 4−2−3−1 verteidigt und die Hamburger einfach mal machen lässt. Spielerisch dürfte dabei nicht allzu viel herauskommen – und Wolfsburg kann auf Konter lauern.
Pro Wolfsburg: Mario Gomez
Mario Gomez ist die Lebensversicherung der Wolfsburger: Zehn der dreizehn Treffer, die Wolfsburg unter Andries Jonker erzielt hat, gehen auf das Konto des Nationalstürmers. Er muss sich nicht in den Spielaufbau einschalten, sondern soll vorne in vorderster Linie bleiben. Mit seiner Raumintelligenz an der Grenze zum Abseits und im gegnerischen Strafraum hält er sich bereit für Pässe in die Schnittstelle und Flanken.
Diese Zuspiele bekommt Gomez unter Jonker wieder häufiger. Jonker hat das Spielsystem ganz auf den Stürmerstar ausgerichtet: Die offensive Dreierreihe im 4−2−3−1 postiert sich eng aneinander, soll den Gegner auf sich ziehen. Mit schnellen Aktionen soll der Ball entweder direkt hinter die Abwehr oder auf die Flügel gespielt werden. Von dort schlagen die Außenverteidiger Bälle in den Strafraum. Das könnte auch gegen den Hamburger SV zum Erfolg führen, gerade wenn die Hamburger irgendwann alles nach vorne werfen müssen.
Pro Wolfsburg: Die Ausgangslage
Ein Punkt genügt Wolfsburg. Solange es 0:0 steht, können sie den Ball getrost den Hamburgern überlassen. Schon gegen Schalke ließ Hamburg in der zweiten Halbzeit große Räume zum Kontern, die unmotivierten Schalker liefen diese aber nicht mit letztem Elan an.
Gerade auf den Flügeln stimmt bei Hamburg die Balance nicht immer. Hier rücken die Außenstürmer weit ins Zentrum. Die Außenverteidiger müssen aufrücken, um Breite zu geben. Je länger das Spiel dauert, umso weiter rücken die Außenverteidiger auf – und umso eher gibt es hier Räume zum Kontern. Gerade wenn Wolfsburg eine anfängliche Hamburger Sturm- und Drang-Phase übersteht, könnten sie mit ihrer hohen Geschwindigkeit und Gomez als Abnehmer für Flanken den entscheidenden Konter setzen.
Pro Hamburg: Die Ausgangslage
So seltsam es klingt, aber auch für den Hamburger SV hat die Ausgangslage Vorteile. Die Hamburger benötigen, anders als Wolfsburg, bei keinem Spielstand einen Taschenrechner. Die Spieler werden nicht auf die Anzeigetafel blicken, sich nicht um Ergebnisse aus anderen Stadien kümmern. Sie wissen: Nur mit einem Sieg können wir der Relegation entkommen.
Das erleichtert die taktische wie personelle Planung für Gisdol. Er braucht keine Alternativpläne, sondern kann einen Plan A ausarbeiten, mit dem der Hamburger SV möglichst früh in Führung geht. Wenn sie lange hinten liegen, werden sie alles nach vorne werfen. Keine Mind Games, sondern klare Kante.
Pro Hamburg: Wolfsburgs Instabilität im Mittelfeld
Der Spielstil der Hamburger war zuletzt nicht äußerst variantenreich. Das Spiel wurde mit einem langen Ball in die Spitze eröffnet. Der Stürmer sollte diesen Ball ablegen. Dahinter zogen sich die Außenstürmer und die Hamburger Doppelsechs zusammen, um den zweiten Ball zu erobern. Vier bis fünf Spieler gehen auf den zweiten Ball. Danach soll die Kugel direkt in die Spitze gespielt werden.
Gegen den VfL Wolfsburg könnte dieser Trick besser funktionieren als zuletzt. Wolfsburgs Schwachstelle ist die Doppelsechs. Oft offenbart die Doppelsechs zu viele Räume vor der Abwehr. Jonker hat hier personell viel probiert, aber keine gute Lösung gefunden. Luiz Gustavo musste zuletzt häufig in der Abwehr aushelfen, Riechedly Bazoer fehlt gegen Hamburg gesperrt. Wenn die Hamburger die zweiten Bälle erobern, haben sie gute Chancen gegen Wolfsburg.
Es ist eins von vielen Wenns für den Hamburger SV. Die Marschroute dürfte klar sein: Von Anfang an früh pressen, viel Druck aufbauen, jeden Ball sofort in die Wolfsburger Hälfte spielen. So könnte ihnen ein früher Treffer gelingen. Genau diesen brauchen sie, wenn sie Fragen nach der dritten Relegation in vier Jahren vermeiden wollen.