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Das Bad­ner­lied steht ein biss­chen fürs große Ganze, dafür, wie die Nord­tri­büne im Schwarz­wald­sta­dion tickt. Wenn die Regio­nal­hymne eine Vier­tel­stunde vor Anpfiff anläuft und sich auf den Tri­bünen Arme mit aus­ge­brei­teten Schals in den Himmel stre­cken – dann singen zwar alle den Marsch von 1865 mit, nur halt jeder seine eigene Ver­sion. Hard­core-Badner for­dern der Schwab’ muss raus“, ein paar Alt­punks singen, dass sie auf das Bad­ner­lied und ‑land scheißen. Man­cher singt text­treu mit andächtig geschlos­senen Augen, man­cher mit Mit­tel­finger voraus.

Für Außen­ste­hende klingt es jedoch, als würden die 6000 Men­schen, die dort im Norden stehen, gerade aus einem Guss die freie Repu­blik Baden aus­rufen. Musi­ka­lisch wie text­lich ist es aber die reine Kako­phonie. Chris­toph Bier­mann schrieb mal, das Sta­dion ver­wandle sich in eine Geis­ter­bahn“, wenn das Stück ange­stimmt werde. Warum sämt­liche Müll­trenner und Rad­fahrer der Öko-Hoch­burg mit­singen, sei einewiges Geheimnis. Stimmt! Aber auf der Nord­tri­büne gehört eben dazu, dass jeder ein biss­chen macht, was ihm dabei in den Kram passt.

In Frei­burg gab es kaum 50 Kutten

Will­kommen, im Badi­schen heißt es fran­ko­phil Salli“, in dem, was Ex-Trainer Volker Finke einst Erleb­nis­park nannte, als es hier richtig los­ging. Das Nord­licht Finke war zusammen mit dem ur­badischen Prä­si­denten Achim Sto­cker bekannt­lich der Vater aller Auf­stiege und setzte das Bun­des­li­ga­wunder vor mehr als 25 Jahren in Gang. Und ließ nicht nur die Fuß­ball­phan­ta­sien in der Stu­den­ten­city in den Himmel wachsen, son­dern auch diese Nord­tri­büne, die zu Zweit­li­ga­zeiten aus etwa sechs breiten Stein­stufen bestand. Ohne Dach, mit einem Fan­klub­grüpp­chen, das Wir sind alle Frei­burger Jungs“ sang, auch wenn die meisten aus den nahen Schwarz­wald­dör­fern kamen.

Eine tra­di­ti­ons­reiche His­torie gab es also nicht, bis ins erste Finke-Jahr ging man wenige Minuten vor Anpfiff auf Nord, vorbei am Ten­nis­heim, wo später pro­vi­so­risch die Pres­se­kon­fe­renzen statt­fanden, mit den selbst­ge­schmierten Schnitt­chen der Prä­si­den­ten­gattin Hanne Sto­cker. Der Fan­klub Adler“ machte ein wenig Stim­mung, es war die Zeit der Kutten und boden­langen Strick­schals, aber in Frei­burg trugen diese Kluft kaum 50 Leute. 

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Die reinste Kako­phonie: Wenn vor Anpfiff das Bad­ner­lied erklingt, singt im Norden jeder seine ganz eigene Ver­sion.

Albert Josef Schmidt

Stim­mung gab es vor allem, wenn sich mal ein Groß­klub in die zweite Liga ver­irrt hatte. Schalke 04 gab im Oktober 1990 so ein Gast­spiel mit ein paar tau­send Aus­wärts­fans. Für die Nord­tri­büne war es ein Aus­flug in andere Welten. Das Sta­dion war mit 15 000 Zuschauern aus­ver­kauft, auf der Gegen­tri­büne sorgten auf den besten Plätzen an der Mit­tel­linie meh­rere tau­send Gel­sen­kir­chener für Zaun­bruch und Spiel­un­ter­bre­chung. Das Match endete 3:0 für den Sport-Club, aber das wackere Häuf­lein SC-Tifosi wurde wie so oft als Kin­der­chor“ besungen. Dass nur drei Jahre später hier regel­mäßig Bun­des­liga gekickt werden sollte, ahnte nie­mand.

Mit der Bun­des­liga kam die Krea­ti­vität

Nach Finkes Antritt füllte sich die Nord­tri­büne zuse­hends, aber die Gegen­ge­rade war ange­sagter: Ein paar Treppen höher, eben­falls unüber­dacht und einst der Ort für Kick-Fla­neure, die den Cam­ping­klapp­stuhl dabei hatten. Dar­unter dösten Hunde, die ver­mut­lich zehnmal mehr Spiele erlebt hatten als man­cher Neu-Fan. Aber es wurde voller im Sta­dion, als der SC 1992 erst­mals an der Bun­des­li­gatür scharrte.

Als es im Jahr darauf dann los­ging, erlebten die Frei­burger eine nie dage­we­sene Krea­ti­vität, auf dem Rasen wie auf den Rängen: Die Gegen­ge­rade war nun der Ort, an dem sich wie auf St. Pauli die Szene und Stu­denten trafen, es gab Fan­klubs, die Frei­beuter“ hießen, Ecken, in denen Sam­ba­cli­quen trom­melten und Sozio­lo­gie­pro­fes­soren, die pfei­fe­schmau­chend das Spiel ana­ly­sierten.

Die Nord­tri­büne sollte noch eine Weile der Ort der Fan­klub­tra­di­tio­na­listen bleiben. Für die Bun­des­liga wurden drei wei­tere Stein­stufen oben dran zemen­tiert, aber ein grö­ßerer Ausbau der Nord war noch nicht mög­lich, weil hinten die Ten­nis­ab­tei­lung ihre Sand­plätze bespielte. Erin­ne­rungen an SC-Spiele auf der Nord in den neun­ziger Jahren sind eher mit Schwermut ver­bunden: Mit herbst­li­chen Frei­tag­abend­nie­der­lagen gegen den HSV zum Bei­spiel. Wegen des Andrangs war man nun schon 90 Minuten vor Anpfiff vor Ort, schon den Beginn erlebte man völlig durch­nässt, irgend­wann nach der Frust­be­wäl­ti­gung in der Kneipe kam man spät­nachts mal aus den damp­fenden Kla­motten.

Die Kneipe nach dem Spiel war in diesem Fall übri­gens etwas, das wie die meisten Fan­klubs erst mit der Bun­des­liga 1993 begründet wurde. Der Laden, der die Nord­tri­büne in ihrer spä­teren Viel­falt am meisten ver­kör­pert, ist ein Ort zum Ver­sumpfen, der kon­se­quen­ter­weise auch Swamp“ heißt. Dessen Wirt, der Chico“ genannte Car­melo Poli­cic­chio, bietet wohl den ein­zigen Schau­platz auf der Bun­des­liga-Land­karte, an dem nach Spie­lende Fans der Steh­tri­büne auf Medi­en­ver­treter und Ver­eins­per­sonal stoßen, ein exter­ri­to­rialer Ort. Chico ver­an­staltet dort Lesungen und Inde­pend­ent­kon­zerte.

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Für die freie Sicht aufs Spiel­feld muss man sich Frei­burg schonmal etwas ein­fallen lassen.

Archiv SC Frei­burg

Er schreibt wie ein badi­scher Nick Hornby regel­mäßig über sein Fan-Leiden in der Sta­di­on­zei­tung. Und er betreibt selbst eine Bier­bude auf der Nord­tri­büne, wo es laut Aus­hang die beste Wurst öst­lich des Mis­sis­sippi“ gibt, sie stammt wie der Wirt aus dem Kin­zigtal in der Nähe von Frei­burg und ist tat­säch­lich sehr gut, weil vom Dorf­metzger.

Das alles wurde mög­lich, weil der Verein um das Jahr 2000 herum die Nord­tri­büne vom durch­nässten Pro­vi­so­rium-Spirit befreite und das Sta­dion in seiner heu­tigen Form zu Ende baute, für 24 000 Men­schen: Die Steh­plätze auf der Gegen­ge­rade fielen trotz schier ver­eins­spal­tender Debatten weg und wurden durch Sitz­plätze ersetzt. Finke und der dama­lige SC-Manager Andreas Rettig argu­men­tierten, das solche Filet­stücke“ nicht als güns­tige Steher über den Tresen gehen dürften. Und dass eine, nun ja, große Hin­ter­tor­tri­büne mit 6000 Plätzen durchaus stim­mungs­voll sein könnte. Finke und Rettig waren sich damals nicht zu schade, mit ihrem Ansinnen auf Road­show an die Theken zu tin­geln und Fans oder Nicht­fans in Gespräche zu ver­wi­ckeln. Am Ende kam es so: Die Tennis-abtei­lung wurde umge­sie­delt, die Nord wurde in der Höhe ver­drei­facht, ein Dach kam drauf und zu den Fan­klubs kamen die Stu­denten, weil die ermä­ßigten Karten hier ver­geben wurden. Und es gab jetzt auch aktive Anhänger, die sich in Abgren­zung zu den alten Fan­klubs orga­ni­sierten. Die recht junge Nord­tri­büne war in der Pubertät ange­kommen.

Aus­testen, was denn so geht

Denn natür­lich standen jetzt auf deut­lich engerem Fleck Leute bei­einander, die nicht nur im Gesang arg unter­schied­lich tickten. Auch was den Aus­druck ihrer Fan­liebe angeht: Auf der einen Seite die Fan­ge­mein­schaft, ein Dach­ver­band von gut 60 Fan­klubs, die sich nicht von ein paar Buben und Mäd­chen vor­schreiben lassen wollten, wie Fan­kultur geht. Auf der anderen Seite die Ultras, die mit der Sup­porters Crew“ später selbst einen Dach­ver­band auf den Weg brachten und jetzt stimm­ge­waltig die Mitte des Tri­bü­nen­baus besetzten. Und natür­lich ein wenig rotz­löf­fel­haft aus­tes­teten, was denn so geht.

Der Verein selbst hat das über die Jahre hinweg so aus­ba­lan­ciert, dass heute jeder seinen Platz inner­halb der Nord-Viel­falt gefunden hat: Hat mal mit Ver­boten reagiert, wenn es darum ging, dass die Ultras ähn­liche Rechte rekla­mierten wie ihre Freund­feinde bei anderen Bun­des­li­gisten. Aber sich auch gesprächs­be­reit gezeigt. Und im Übrigen auch die eta­blierten Fan­klubs beim Alte­rungs­pro­zess begleitet. Manager Rettig hatte ihnen bereits bei der Neu­ord­nung der Tri­bünen ein Fan­haus hin­ge­stellt, in dem sie über eigene Zapf­hähne ver­fügen.

Inhalte schlagen Eitel­keiten

Man ahnt es schon: Der Verein mit der noch recht jungen Bun­des­li­ga­his­torie kann nicht mit wüsten Hoo­li­gan­schlachten auf­warten, es gab natur­gemäß keine Platz­stürme nach Meis­ter­schaften, auch keine Mas­sen­prü­ge­leien inner­halb eigener Gruppen. Die beiden orga­ni­sierten Fan­lager haben heute ihren ganz eigenen Marsch durch die Insti­tu­tionen hinter sich. Wo die Fan­klubs inzwi­schen ein Auf­sichts­rats­mit­glied stellen, haben die Ultras mit einer klugen Mit­glie­der­initia­tive namens Ein­zig­ar­tiger Sport Club Frei­burg e.V.“ beim Vor­stand offene Türen ein­ge­rannt: Ende 2017 ging es darum, eine Posi­tion zu den Themen Aus­glie­de­rung, Inves­toren und 50 + 1 zu hin­ter­legen, 2018 darum, dass die Mit­glieder der Sou­verän im Verein bleiben. Sie wurden erhört.

Was im sport­li­chen Bereich unter Chris­tian Streich und seinem Team als viel­fäl­tiges Mit­ein­ander funk­tio­niert, scheint auch bei den Fans zu gelten: Sach­ebene statt schil­lernder Front­fi­guren, keine furcht­ein­flö­ßenden Legenden, Inhalte schlagen Eitel­keiten.

Aber wie ist es heute um die Stim­mung auf der Nord­tri­büne bestellt? Es gibt regel­mäßig auf­wen­dige Cho­reos, vor allem zum Sai­son­auf­takt wird meist etwas aus dem Hut gezau­bert. Beim vor­läufig letzten Zweit­liga-Auf­takt im Sommer 2015 wurde ein haus­großer Big Lebowski“ aus dem gleich­na­migen Film hoch­ge­zogen, rund um den Dude“ im SC-Bade­mantel stand: We got kno­cked down, but we will get up again.“

Und wenn ein video­b­e­dingter Elf­meter noch in der Halb­zeit­pause aus­ge­führt wird, so wie im April 2018 gegen den SC in Mainz, klingt das Spruch­band in der Woche darauf auf der Nord so: Bitte bleiben Sie in der Halb­zeit auf Ihren Plätzen. Sie könnten ein Tor ver­passen!“ SC-Fans sind lei­dens­fähig, aber Fuß­ball war hier nie­mals ein Sport auf Leben und Tod.

Under­dog­geist und Ani­mier­ge­fühl

Zuge­geben, auch hier kann Dau­er­sup­port nervig sein, es gibt Gesänge, die es woan­ders auch gibt und dazu selt­same Eigen­krea­tionen. (Eine Vari­ante von Der Nippel“, zu der die Arme rhyth­misch an einem ima­gi­nären Fit­ness­gerät in der Luft zerren, wird Nor­mal­be­su­chern ein ewiges Rätsel bleiben). Auf der Nord­tri­büne singen sie zu Off­spring-Melo­dien, dass sie kein Geld und keinen Job bräuchten, weil der Klub das Größte auf der Welt sei. Das Schönste ist jedoch, wenn sich aus dem mono­tonen Gesinge das her­aus­löst, was die Stim­mung im Schwarz­wald­sta­dion ein­malig macht: Wenn sich der Under­dog­geist mit so einem Ani­mier­ge­fühl auf die anderen Tri­bünen über­trägt und die Mann­schaft in der engen Kiste noch einmal etwas Extraschwung kriegt, können diese Fans tat­säch­lich den Unter­schied machen. Ultras, Fan­klubs und all die Freaks, die auch im Ü50-Alter noch keinen Bedarf für einen Sitz­platz sehen. 

Und wenn ein Sieg dann fest­steht, beweisen sie eben­falls ein gutes Gespür: Weil zum Bei­spiel nicht der Doppel-Tor­schütze in die Mitte ans Megafon geholt wird, son­dern der ehe­mals Lang­zeit­ver­letzte, der nun im Spiel wieder keinem Zwei­kampf aus­ge­wi­chen ist. Im Unterbau der Nord­tri­büne wird der­weil noch ein Schwung Kin­zig­täler Würste auf den Grill gelegt, auch das ist ein­malig: Der Verein hat keine lukra­tive Gene­ral­li­zenz an einen Alles-Caterer ver­geben, son­dern leistet sich eine Viel­falt von ein paar Dut­zend Stand­be­trei­bern. Und wie ver­schieden die Fans sind, zeigt sich auch beim jewei­ligen Stamm­platz fürs Bier danach.

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Seit den Neun­zi­gern Stamm­gast im Sta­dion: Sty­ro­por­stelzen, die freie Sicht aufs Spiel­feld garan­tieren, und die Trom­meln.

Archiv SC Frei­burg

Wenn dies hier für einen Fuß­ball­guide geschrieben würde, hieße es: Besucht die Nord­tri­büne – solange sie noch steht.“ Ab der Saison 2020/21 wird der Sport-Club seine Heim­spiele am anderen Ende der Stadt in einem Neubau aus­tragen. Die Nord­tri­büne, diese badisch-beschau­liche Minia­tur­aus­gabe der Dort­munder Wand, wird dann im Süden stehen, aber als reiner Stehrang wei­ter­exis­tieren.

Zu besich­tigen gibt es am alten Standort noch eines der letzten deut­schen Stadt­teil­sta­dien, nur 50 Meter von den nächsten Anwoh­nern ent­fernt. Mit einer Enge, die es allein auf­grund der Sta­tuten nicht mehr geben darf: Weil der SC mit seinem zu kurzen Rasen (100,5 statt 105 Meter Pflichtmaß) die maxi­malen Mar­kie­rungs­mög­lich­keiten aus­reizt, herrscht auf der Nord eine Nähe zu den Spie­lern wie nir­gendwo sonst in der Erst­li­ga­land­schaft. Selbst beim BVB ist etwas mehr Aus­lauf hin­term Tor. Dass das Spiel­feld Rich­tung Nord­tri­büne seit jeher um einen Meter leicht bergab geht, ist eher ein Fun Fact.

Tipp für die Reise, falls je eine Karte auf der Nord frei werden sollte: Am schönsten ist die Tri­büne im Früh­jahr, gegen Ende der Saison. Im Ide­al­fall hat der Sport-Club seine Punkte gegen den Abstieg dann näm­lich zusammen­gehamstert, das Spiel wird gewonnen, das ewig gute Wetter zeichnet ein Extra-Lachen auf die Gesichter der Anhän­ger­schaft, zu der tra­di­tio­nell auch ein hoher Frau­en­an­teil gehört – und eine end­lose Kara­wane von Fahr­rä­dern setzt sich an der Dreisam Rich­tung Innen­stadt in Bewe­gung. Klar, jeder mit seinem eigenen Lied auf den Lippen.