Die Nordkurve des Gladbacher Bökelbergs war berühmt für steile Ränge, Papierschnitzel und Borussen-Leo. Dies ist ihre Geschichte.
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Mai 2019 in 11FREUNDE #211. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Es begann mit einem Raunen und steigerte sich zu einem Johlen. Die Leute auf den Rängen lachten und jubelten, obwohl sie dieses Ritual längst kannten. Von der Nordkurve stürmte jemand, lange vor dem Anpfiff, über den leeren Rasen. Um die Hüfte hatte er eine Borussen-Fahne gebunden, einen Schal hielt er waagerecht über den Kopf. „Das ist Borussen-Leo“, raunten die Erwachsenen. Im Mittelkreis legte Borussen-Leo die Fahne auf den Rasen wie einen orientalischen Gebetsteppich. Er kniete nieder und fing an, sich zu verbeugen. Nicht Richtung Mekka, sondern zu den Fans in der Nordkurve.
Manchmal kam es auch vor, dass die Fans des Gegners mit einer kleinen Delegation den Rasen enterten, um ihrem Klub auf dem Bökelberg zu huldigen. Die entsprechende Reaktion ließ in der Regel nicht lange auf sich warten. Aus der Nordkurve machte sich eine Abordnung auf den Weg, was schließlich eine zünftige Prügelei auf dem Rasen zur Folge hatte. Heutzutage würde die ARD vermutlich sofort einen Brennpunkt ins Programm nehmen. Damals, in den ausgehenden siebziger Jahren, passierte: nichts.
Thomas Weinmann, den bei der Borussia alle nur als Tower kennen, ist ein Turm von einem Mann: an die zwei Meter groß, schwarze Hose, schwarzes T‑Shirt, schwarze Brille. Der Fanbeauftragte setzt sich, nimmt die Brille ab und knetet sich mit den Händen erst einmal durchs Gesicht. Seit dem Wochenende hat er eine Menge zu tun. Am Samstag zuvor hat Borussia gegen Leipzig gespielt. Die Nordkurve hat das Spiel zum Anlass genommen, um gegen das Projekt aus Sachsen zu protestieren; unter anderem war ein diffamierendes Transparent gegen Leipzigs Trainer Ralf Rangnick zu sehen.
Seitdem wird wieder heftig diskutiert, über Fußballfans im Allgemeinen und die von Borussia Mönchengladbach im Besonderen. Sogar Mönchengladbachs Polizeipräsident hat sich empört zu Wort gemeldet. Es ist ein schwieriges Spannungsfeld, das immer stärker von dem Wunsch der Politik nach schärferen Repressionen geprägt wird. Und mittendrin: Tower Weinmann.
„Früher war alles viel schlimmer.“
„Man hört und liest immer wieder, dass wir eine Verrohung der Gesellschaft erleben und die Hemmschwelle, jemanden zu beleidigen, viel geringer geworden sei“ sagt er. „Angeblich war früher alles viel besser. Aber das stimmt gar nicht. Früher war alles viel schlimmer.“ Und dann erzählt er, wie Fans des VfL Bochum mit Fahrradketten auf die Gladbacher eingeschlagen haben, wie Anhänger des MSV Duisburg von oben Raketen in die Nordkurve geschossen haben und ein Borussen-Fan dabei ein Auge verlor.
Lämmer waren aber auch die Gladbacher nicht. Bei einem Auswärtsspiel in Homburg gerieten sie in Wallung, nachdem sie sämtliche Biervorräte weggesoffen hatten und es nichts mehr zu trinken gab. Also stürzten sie einfach die komplette Bierbude um. Inklusive Verkaufspersonal. Die Konsequenzen? Keine.