Schalke 04 hat das alte Parkstadion nach einem teilweise Abriss und einer aufwendigen Renovierung wiedereröffnet. Einst war das Stadion berühmt für die verwegene Freiheit in der Nordkurve. Das ist die Geschichte der Schalker Fankurve.
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #207. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Der letzte verbliebene Flutlichtmast des einst stolzen Parkstadions ist so etwas wie das Wahrzeichen des Berger Feldes im Norden von Gelsenkirchen geworden. Wie ein Wachturm ragt er weit über das Areal hinaus und erinnert die Besucher der benachbarten modernen Arena an die Zeit, als noch eine kalte, hässliche Betonschüssel die Heimspielstätte des FC Schalke 04 war. Meist sind es verklärte, romantische Erinnerungen an eine Ära, in der Spieltage gänzlich anders abliefen als heute. Mit Romantik hatte das Parkstadion zwar wenig zu tun, trotzdem scheint die Sehnsucht nach dieser Zeit so groß zu sein wie selten zuvor – Nostalgie hat Hochkonjunktur.
Deshalb haben auch viele der alten Parkstadionlieder den Weg zurück auf die moderne Fantribüne gefunden, die immer noch Nordkurve heißt, obwohl sie eigentlich keine Kurve ist, jedenfalls nicht so wie im Parkstadion, wo die Tartanbahn die Form der Tribüne bestimmte. Die Fans singen: „Wir sind Schalker, asoziale Schalker, wir schlafen unter Brücken oder in der Bahnhofsmission!“ Was früher von gegnerischen Anhängern hämisch über die blau-weißen Fans gesungen wurde, intonieren also heute zehntausende Schalker voller Stolz. Dabei ist das Publikum inzwischen ein ganz anderes. Solch gesittete Zuschauer, wie sie in der Arena beim Premiumprodukt Bundesliga anzutreffen sind, sah man im Parkstadion allenfalls vereinzelt auf der Haupttribüne. In der Nordkurve, allen voran im berüchtigten Block 5, wehte ein ganz anderer Wind.
Gesittet und geordnet: In der Nordkurve der modernen Arena erin-nert nur noch wenig an die Anarchie des alten Parkstadions.
Schon vor dem Umzug in das Parkstadion 1973, in den letzten Spieljahren in der Glückauf-Kampfbahn, fielen Zuschauer des Ruhrgebietsvereins immer öfter durch ihr rüdes Verhalten auf. Die anschließenden knapp zwei Jahrzehnte im Parkstadion waren durchweg geprägt von Gewaltausbrüchen. Ende der Siebziger bis Anfang der Neunziger war das Parkstadion kein wirklich sicherer Ort. Hier formierte sich die einst berüchtigtste Hooligangruppe der Bundesliga, die Gelsenszene. Hier gab es an einem einzigen Spieltag mehr Schlägereien als heute in einer ganzen Saison. Warum also wird ein solcher Ort offenbar vermisst?
Geliebt wurde das WM-Stadion von 1974 seinerzeit für seine Größe, für die leistungsstarke Flutlichtanlage und für die damals hochmoderne, riesige Anzeigetafel. (Auf deren schmaler Oberkante so manches Mal verwegene Fans einen Platz suchten, um das Spiel in luftiger Höhe zu verfolgen.) Ursprünglich war das Stadion sogar als Vorzeigeobjekt für eine ganze Region und für über 100 000 Menschen geplant worden. Eine komplette Überdachung war auch nach der Eröffnung noch jahrelang im Gespräch.
Das Stadion war als Symbol für eine neue ruhmreiche Ära der Schalker Knappen gedacht, es sollte der Stolz der Bergarbeiterregion sein und den Erfolg der Vorkriegsjahre zurückbringen. Es wurde – bis auf Ausnahmen wie den Gewinn des UEFA-Pokals 1997 – allenfalls ein Sinnbild für Erfolglosigkeit und Skandale. Jenen Gewinn des europäischen Titels für die heutige Nostalgiewelle verantwortlich zu machen, wäre daher zu kurz gedacht.
Schon in der alten Kampfbahn Glückauf standen die jüngsten und lautesten Fans des FC Schalke im Norden, wie hier im Herbst 1971.
Als das Parkstadion gebaut wurde, hatte der Fußball wegen des Bundesligaskandals mit großem Zuschauerschwund und einem schlechten Image zu kämpfen. Im Ruhrgebiet kamen noch Strukturwandel und steigende Arbeitslosigkeit hinzu, die viele Probleme in die Stadien trugen. So wurden die Spieltage für viele Jugendliche zur besten Gelegenheit, den angestauten Frust abzubauen und sich selten gewordene Anerkennung zu verschaffen. Es herrschte eine Art Anarchie in den Stadien.
An den Bier- und Wurstständen galt das Gesetz des Stärkeren oder Lauteren. Wer dort im wahrsten Sinne des Wortes um sein Bier gekämpft hat, war nur wenige Jahre später verblüfft, wie geordnet sich Stadionbesucher anstellen können, um an Verpflegung zu kommen. Auch ansonsten hatte der Imbissstand im Parkstadion übrigens abenteuerlichen Charakter. Da schwamm schon mal ein Heftpflaster in der Erbsensuppe, die umso dünner ausfiel, je mehr Zuschauer kamen. Auch das gerne verarbeitete Gammelfleisch würde heute bundesweit für Schlagzeilen sorgen, war damals aber nicht mehr als eine gern erzählte Anekdote.