Horst Heldt behandelt nur die schweren Fälle. In 15 Jahren als Bundesligamanager hat er sich auf schlingernde Traditionsklubs mit Alphatieren in der Chefetage spezialisiert. Wie lebt es sich in permanenter Hitze?
Heldt ist kein alerter Banker-Typ wie Oliver Mintzlaff, kein vergeistigter Eigenbrötler wie Jörg Schmadtke und auch keine spröde Klublegende wie Michael Zorc. Heldt ist der freundliche Herr im Halbschatten. Die Haltung, sich selbst nie zu wichtig zu nehmen, prägt ein ambivalentes Image. In Erfolgsphasen wird Heldt von Vorgesetzten für seine Genügsamkeit geschätzt. Läuft es aber schlecht, wird ihm die Bescheidenheit gern als Führungsschwäche ausgelegt. In einem Gewerbe, in dem sogar die Körpersprache eine Grundlage für Analysen bildet, glauben einige in dem schmächtigen Blondschopf (1,69 Meter Körpergröße) keinen Macher, sondern allenfalls einen unverwüstlichen Sidekick zu erkennen. Urheber des Images als lammfrommer Watschenmann war übrigens ebenfalls Felix Magath, der einst sein Durchsetzungsvermögen als Profi kritisierte: „Horst ist zu lieb für die Bundesliga.“ Heldt weiß, dass Menschen dazu neigen, ihn zu unterschätzen. Er hat sich damit abgefunden: „Wie gut ich meine Arbeit mache, können am besten die Leute bewerten, die denselben Job machen wie ich.“
Auf dem Teppich seines lichtdurchfluteten Eckbüros in der Geschäftsstelle steht ein kitschiges Geißbockimitat in silbrigem Strass. Auf das Flipchart hat jemand hastig das „Magische Dreieck“ der Organisationswissenschaft gekritzelt: „Strategie“, „Organisation“, „Kultur“. Die Theorie besagt, dass eine Vision zur Realität wird, wenn diese drei Begriffe mit Inhalt gefüllt werden und positiv zusammenwirken. Heldt macht sich viele Gedanken um Personalführung und Weiterentwicklung. Sparringspartner in diesen Fragen ist sein Schwager Wolfgang Jenewein, BWL-Professor an der Uni Sankt Gallen. Eine Coachingkoryphäe, die rund um den Globus Konzernführungskräfte berät. Die Bürotür geht auf und Alexander Wehrle kommt herein. Sonnengegerbt, graumeliertes Sakko, beste Laune: „Ah, die 11 FREUNDE. Interviewen Sie unser Trüffelschwein?!“ Heldt steht am geöffneten Fenster und steckt sich lächelnd noch eine an.
„Der hat in der Nationalelf nix verloren“
Er ist endlich wieder zu Hause. 25 Jahre ist es her, dass sie ihn beim FC unsanft vom Hof jagten. Eines Tages im Frühjahr 1995 war er vorm Training vom Geschäftsführer abgepasst worden, der ihm mitteilte, dass er sich einen neuen Verein suchen solle. Die Nachricht traf ihn wie ein Blitz. Wie konnte das sein? Er hatte einen laufenden Vertrag, über einen Wechsel hatte er nie nachgedacht. Von den für den Sport Verantwortlichen hatte niemand persönlich mit ihm gesprochen. Der Laufpass seines Herzensvereins spülte ihm die Gehirnwindungen durch. Ihm wurde klar: Die einzige Konstante im Profifußball ist die Veränderung. Und einer wie er, mit allenfalls soliden Erstligaqualitäten, kann nicht auf Bestandsschutz klagen. Heldt könnte ein Buch über die öffentlichen Zurücksetzungen schreiben, die ihm widerfahren sind. Aber wozu? Die meisten Kritiker hat er eines Besseren belehrt. Die Gesellen während seiner Kfz-Mechaniker-Lehre etwa, die ihn nach der Frühstückspause in den Regen zum Autowaschen schickten. Oder 1860-Trainer Werner Lorant, dem nach Heldts Berufung in die Nationalelf im April 1999 nichts anderes einfiel, als zu schäumen: „Der hat da nix verloren!“ Ätzende Worte. Sie können die schönen Erinnerungen zwar nicht schmälern, dennoch fragt sich Heldt: „Warum hat er sich nicht für mich gefreut? Die Berufung hätte er doch als Ergebnis seiner Arbeit verbuchen können.“
Er erduldete Trapattoni, Hundt, Magath, Tönnies. Nur bei Martin Kind in Hannover drehte er ganz untypisch den Spieß um: Im Herbst 2017 unterbreitete der 1. FC Köln ihm erstmals ein Angebot. Doch 96 ließ ihn nicht aus dem Vertrag. Heldt nutzte die Situation aber, um sein Gehalt und seine Kompetenzen bei Kind nachzuverhandeln. Es war ein Abwägen von Interessen, bei dem am Ende ein neuer Deal, aber auch ein Bekenntnis zum Arbeitgeber heraussprang – so sah es zumindest der Klubmäzen. Doch im April 2018 flirtete Heldt plötzlich heftig mit einem Wechsel zum VfL Wolfsburg: „Die Möglichkeit, ein Team zu bauen, das Chancen auf die Champions League hat“, gibt er zu, „und auch die finanziellen Rahmenbedingungen, fand ich sehr reizvoll.“ Auch dieser Wechsel scheiterte, doch die Turbulenzen beschädigten das Vertrauensverhältnis nachhaltig. Heldt bereut sein damaliges Verhalten. Auf Schalke habe er sich vom emotionalen Sog des Klubs zu stark vereinnahmen lassen. Als sein Vertrag im Pott nicht verlängert wurde, sei es ihm schwergefallen, sich abzunabeln. Er habe deshalb beschlossen, sich zukünftig von keinem Verein mehr derart elektrisieren zu lassen. Doch so, wie er sich in Hannover verhalten habe, sei es der falsche Weg gewesen. „Es wäre nicht glaubwürdig, Spielern etwas von Vereinstreue und Loyalität zu erzählen,“ sagt er, „und es selbst anders vorzuleben.“ Als Hannover 96 im Frühjahr 2019 am Tabellenende dümpelte, musste er gehen. Und erstmals fürchtete er, seine Zeit in der Bundesliga könne vorbei sein: „Im Fußball zählt heute oft nicht mehr, was man vorweisen kann“, sagt er. „Bei der Besetzung freiwerdender Stellen sind heute häufiger junge Manager gefragt, die selten besonders viel Berufserfahrung haben.“