Horst Heldt behandelt nur die schweren Fälle. In 15 Jahren als Bundesligamanager hat er sich auf schlingernde Traditionsklubs mit Alphatieren in der Chefetage spezialisiert. Wie lebt es sich in permanenter Hitze?
Auch Tönnies stellte ihn auf die Probe. Lief es gut, lud er Heldt zur Golfrunde nach Rheda. Wenn nicht, lästerte er, dass es sich für einen Sportvorstand nicht zieme, erst gegen 10 Uhr im Büro aufzukreuzen. Doch Heldt ging nicht auf die Machtspiele ein und retournierte jedwede Kritik im Vier-Augen-Gespräch. In ruhigen Worten erklärte er Tönnies dann, dass der Managerjob nicht in vorgegebenen Arbeitszeiten wie am Band der Fleischfabrik zu bewältigen sei, sondern auf Abruf zu jeder Tages- und Nachtzeit. Auch dass er Jens Keller im Beisein der Spieler nicht unbedingt „Jensi“ rufen solle, weil dies die Autorität des Trainers untergrabe, pulte er dem polternden Aufsichtsrat freundlich bei.
Als der FC Schalke 04 in der Saison 2012/13 für die Qualifikation zur Champions League am letzten Spieltag in Freiburg ein Unentschieden brauchte, platzte der Fleischfabrikant unmittelbar vor Anpfiff – gefolgt von Sky-Experte Franz Beckenbauer – in die Kabine, um noch ein paar markige Worte zu den Spielern zu sprechen, die gerade in der finalen Konzentrationsphase waren. Coach Keller und Heldt erstarrten, bis jetzt war die Vorbereitung auf die bevorstehende Drucksituation gut gelaufen – dennoch ließen sie Tönnies gewähren. „In so einer Situation kannst du nicht gewinnen“, erklärt der Manager. „Jedes weitere Wort hätte nur noch mehr Unruhe gebracht.“ Zur neuen Saison aber führte Heldt die Regel ein, dass nur noch der innerste Zirkel vor und nach Spielen die Umkleide betreten dürfe. An konkrete Anweisungen, das war ihm klar, würde sich auch der mächtige Aufsichtsrat halten. „Tönnies und ich haben uns bis auf wenige Ausnahmesituationen sehr gut verstanden“, sagt er. „Er ging erst zum Ende meiner Zeit auf Schalke auf Distanz, als klar war, dass er den Klub mit Christian Heidel neu aufstellen wollte.“
Heldts größte Stärke ist seine Fähigkeit, Schwächen zuzugeben. In einem Geschäft, das von Eitelkeit und Besserwisserei geprägt ist, kann er die eigenen Interessen und Überzeugungen stets in Relation zu anderen setzen. Als er in Stuttgart in leitende Position kam, telefonierte er die komplette Riege der Erstligamanager durch, um sich Tipps abzuholen. Manche Kollegen reagierten abweisend, viele reserviert, einige erfreut angesichts des lernwilligen Jungspunds. Als besonders hilfsbereit hat Heldt den damaligen FC-Manager Michael Meier in Erinnerung. Und Uli Hoeneß. Der Bayern-Boss habe ihm viel über den Umgang mit Medien erzählt, darüber, wie man in Krisenzeiten Nebenschauplätze aufmacht, um abzulenken. An Meier hingegen habe ihn die Ruhe und Demut fasziniert, mit der dieser – nach der Beinahepleite des BVB – auf das Business blickte.
Wenn Heldt davon erzählt, wirkt er fast wie ein Fanboy, der sich an eine Plauderei mit einem Filmstar erinnert. Es gibt ein Foto, das ihn mit Tönnies, „Bild“-Sportchef Alfred Draxler und dem Berater-Tycoon Roger Wittmann zeigt. Alle tragen dasselbe schwarz-weiß-blaue Golfoutfit. Darauf angesprochen, muss Heldt lächeln: „Ja, ja, ich als kleiner Hansel mit den Alphatieren.“ Es wird nicht ganz klar, ob er es ironisch meint. „Bild“ habe schließlich auch mal einen Bundespräsidenten gestürzt. Und wer Tönnies auf der Lebensmittelmesse „Anuga“ erlebt habe, wisse, wie sicher der als Geschäftsmann agiere. Doch bei der Frage, wer der beste Golfer in der Runde gewesen sei, schmunzelt er: „Na, wer wohl?“
Es war Felix Magath, der ihm zu aktiven Zeiten zu einer entspannteren Sicht auf den Fußball verhalf. Der Trainer hatte ihn 2003 aus Graz nach Stuttgart gelotst – und beim Ehrgeiz gepackt. Nach dem ersten Testspiel attestierte der Trainer dem 32-Jährigen vor versammeltem Kader, nur noch auf „Kreisliga-A-Niveau“ zu kicken. Heldt stieg auf den Psychotrick ein, gab Widerworte und war fortan bemüht, das Gegenteil zu beweisen. Bald schon stand er jede Woche in der Startelf. Allerdings wechselte Magath ihn stets nach der Halbzeit aus. Als Heldt sich darüber im Büro des Coachs beklagte, rührte der nur stoisch in der Teetasse, blickte ausdruckslos und verabschiedete ihn beim Rausgehen mit den Worten: „Nimm dich nicht so wichtig, Horst!“ Und nach einer Pause: „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du immer von Beginn an spielst?“
Magaths Reaktion bewirkte einen Perspektivwechsel. „Weil ich mich über die Auswechslung ärgerte“, sagt Heldt, „war ich nicht imstande zu erkennen, welche Privilegien mir der Trainer einräumte.“ Ihm wurde bewusst, dass es allein an ihm liegt, was er aus seinen Möglichkeiten macht und ob er in der Lage ist, als Teil eines Kollektivs Zufriedenheit zu empfinden. Als Sportdirektor hilft es ihm heute, stets auch den Blickwinkel des Gegenübers einnehmen zu können, um Situationen im Voraus besser einzuschätzen. FC-Geschäftsführer Alex Wehrle kennt Horst Heldt aus gemeinsamen Stuttgarter Tagen. Er sagt: „Horst hat die Fähigkeit, jeden mitzunehmen. Er ist sich nicht zu schade, den Leuten sein Handeln zu erklären, auch Vorgesetzten, die von Fußball wenig Ahnung haben. Vielen Managern, die vorher Profis waren, ist das eher lästig.“