Er verschoss einst drei Elfmeter in einem Spiel, brach sich beim Torjubel das Schien- und Wadenbein und ist der beste Torschütze des argentinischen Traditionsklubs Boca Juniors. Aber erst im Regen von Buenos Aires wurde Martin Palermo zum Nationalheld.
Es ist sein letztes ganz großes Gemälde. Eines, das die Fußballwelt nie mehr vergessen wird. Estadio Monumental, Buenos Aires, 11. Oktober 2009, WM-Qualifikation, Argentinien gegen Peru. Es läuft die dritte Minute der Nachspielzeit, doch die Zeit, diese schnöde weltliche Maßeinheit, scheint in diesem Moment außer Kraft gesetzt. Literweise kübelt der Regen auf die 40.000 Zuschauer nieder. Alles egal. Die Ränge wogen hin und her, die Luft brennt wie eine Bohrinsel nach dem Blowout. Diego Armando Maradona, Argentiniens unerschütterlicher Säulenheiliger, rutscht bäuchlings über den schlammigen Restrasen des El Monumental. Es ist ein Moment des totalen Ekstase. Ein surreales Gemälde, das sich weder Salvador Dalí noch Man Ray in ihren kühnsten Träumen hätten ausmalen können. Trotz LSD. Der Erschaffer dieses Meisterwerks: Martin Palermo, El Loco, der Verrückte. Seine Farbe: Das Tor.
„Es war ein Wunder des heiligen Palermo“
Zehn Jahre hat er auf diesen einen Moment gewartet, in dem er der ganzen Welt zeigen kann, dass er mehr ist als der größte Depp der Fußballgeschichte. Jetzt und hier scheint jede einzelne Sekunde dieser Dekade in Form von purem Adrenalin aus seinen Poren zu spritzen. Palermo reißt sich das hellblau-weiße Trikot vom Leib, der Regen tropft vor lauter Respekt an ihm vorbei. Er streckt die Arme von sich. Komm Welt lass dich umarmen. Palermo blickt gen Himmel als wolle er dem Fußballgott höchstepersönlich sagen: „Sieh her. Ich kann es doch.“
2:1, der Siegtreffer, Argentinien hat sich somit die letzte Chance auf eine Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika bewahrt. In allerallerallerallerletzter Sekunde, denn nur drei Minuten vorher hatte Perus Hernan Regifo ausgeglichen und damit die Gauchos endgültig aus dem WM-Rennen gekegelt. Palermos Tor aus drei Metern Entfernung, dieser schlichte Abpraller von seinem linken Fuß reißt ein Land in den kollektiven Taumel. „Es war ein Wunder des heiligen Palermo“, hapst Nationaltrainer Maradona später in die Mikros. Der heilige Palermo, jener Stürmer, den Maradona nach zehn Jahren Abstinenz für die Nationalmannschaft reaktivierte, für den sie ihn verspottet und belächelt hatten, hat El Diez, hat Argentinien, hat allen Gauchos den Arsch gerettet.
Der Trottel der digitalen Fußballwelt
Dabei war Palermos Karriere in der argentinischen Nationalelf eigentlich seit dem 4. Juli 1999 vorbei. An jenem Tag versemmelte der Angreifer im Qualifikationsspiel gegen Kolumbien satte drei Elfmeter in einem Spiel. Das brachte ihm viel Spott und Hohn – und einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde. Palermo wurde fortan bei der Nationalmannschaft ignoriert, galt auf internationaler Bühne als Lachnummer, als unvermittelbar. Auch hierzulande nahm man seine Karriere lediglich als eine Ansammlung kurioser Anekdoten wahr. 2001 wurde er nach einem Torjubel in Villareal unter einer eingestürzten Mauer begraben, verletzte sich schwer. Bis heute ein gern geklicktes Fußballvideo auf Youtube. Ein Schenkelklopfer. Palermo, ein Trottel der digitalen Fußballwelt.
Doch Palermo ist viel mehr. 2009 trifft er gegen Velez Sarsfield per Kopf – aus 38 Metern Entfernung. Einmalig. Dieser Verrückte ist bei seinem Heimatklub Boca Juniors als ewiger Rekordtorschütze unantastbar. 236 Tore in 361 Spielen. Mehr geht kaum. Er war nie ein Zuckerkicker, kein Riquelme, kein Maradona, keiner, der den Zuschauern mit seinem Hüftschwung den Atem raubte. Nein, Palermo war ein Traktor, der an guten Tagen das Spielfeld umpflügte. Tore waren sein Benzin, die er pausenlos in seinen Tank schütten wollte. Sein ewiger Antrieb. Palermos größte Stärke: Er konnte aus ausnahmslos allen Lagen treffen. Drängten die Verteidiger ihn aus dem Strafraum, nagelte er die Bälle aus den unmöglichsten Entfernungen ins Tor. Doppelten sie ihn, schlich er 89. Minuten lustlos über den Rasen, um die Kugel Sekuden vor Schluss aus dem Gewühl über die Linie zu stochern. Waren sie am Boden zur Stelle, köpfte er von der Strafraumkante ein. Jemanden wie ihn konnte man nicht verteidigen. Niemals.