Als die Profis von Bayer Leverkusen im Februar 2011 in die Ukraine flogen, war Harald Scheffers neueste Erfindung mit an Bord. Für das Spiel bei Metalist Charkow in der Europa League hatten die Meteorologen minus 20 Grad vorhergesagt. Die Ersatzspieler wurden zu Hauptakteuren einer Weltpremiere. Sie trugen auf der Bank schwarze Thermo-Stiefel, die man einfach über die normalen Schuhe streifte, ausgestattet mit einem großen Klettverschluss, wie man ihn sonst von Motorradfahrern kennt. Die Profis waren begeistert, die Füße blieben warm. Und wenn ein rascher Spielerwechsel nötig geworden wäre, hätten sie keine Zeit verloren. Scheffer sagt: „Was Leverkusen für gut befindet, bestellen die anderen Klubs auch.“
Der Fußballunternehmer ist am frühen Morgen im Saarland losgefahren, vormittags hat er Termine in Köln, später geht es weiter nach Nantes. Es sind goldene Zeiten für Scheffer, denn außer ihm gibt es niemanden auf dem Markt, der so einfach denkt wie er. Seinen Geschäftszweig begründete er mit einem Produkt, über das sich schon Generationen von Fußballern geärgert hatten. Das Tragen von Schienbeinschonern wurde in Deutschland in den achtziger Jahren zur Pflicht. Doch die Schützer waren immer zu schwer und: sie rutschten. Scheffer hatte das Problem schon in seiner aktiven Zeit kreativ gelöst. Er lieh sich vor dem Spiel eine Schere, schnitt ovale Flächen aus Pizzaschachteln aus und schob sie unter seine Stutzen. Die folgenschwere Eingebung kam ihm aber beim Besuch eines Sanitärfachgeschäfts. In einem Stützstrumpf entdeckte er das elastische Material, das ihm auch für ausgeprägte Kickerwaden geeignet schien. Der Prototyp, maximal dehnbar und atmungsaktiv, entstand in Heimarbeit; Scheffers Frau ist gelernte Schneiderin. Nach einem Praxistest in der Saarlandliga war der Tüftler so überzeugt von seinem Produkt, dass er Ende 2005 seinen Beruf aufgab und seine gesamten Ersparnisse in das Projekt steckte.
An der Bar mit Bobby Robson und Tony Woodcock
Nicht einmal zwei Jahre später saß Scheffer, der Mann aus Merzig im Saarland, in London auf der Sportmesse „Soccerex“. Nachts, nach einigen Getränken an der Bar, kickte Scheffer mit Bobby Robson und Tony Woodcock auf dem Hotelflur, er war endgültig angekommen im Business. Hinterher bestellte Branchenführer Manchester United 50 Schoner. In Deutschland gehörten Philipp Lahm und Andreas Ottl zu den Trendsettern – auch die Bayern-Spieler hatten erkannt: Keine sind qualitativ besser als die Scheffer-Schützer. Heute werden pro Jahr 80 000 Stück hergestellt. Zu den größten Märkten gehören England, die USA und Mexiko.
Erst die Unterzieher, jetzt die Überstiefel. Zu den Kunden des 43-Jährigen zählen inzwischen auch der VfB Stuttgart und der 1. FC Köln; Borussia Dortmund wird ab Sommer beliefert. Das ist ungewöhnlich in einer Sportwelt, in der sonst alles vom exklusiven Sportartikelpartner angekarrt wird. Doch für den Einzelkämpfer und sein kleines Label S1 zeigen die Zeugwarte der Bundesliga gerne zivilen Ungehorsam. Scheffer hätte weiter seinem alten Job nachgehen können, als Key-Account-Manager einer Firma für Hubarbeitsbühnen. Sein Leben hätte sich auch auf der Überholspur abgespielt, allerdings in einem kleineren Planquadrat. Unwahrscheinlich, dass Scheffer Experte für asiatische Kochkunst geworden wäre. Heute schwärmt er, zwischen zwei Terminen, gerne einmal von Shabu-Shabu, einer Brühe mit Kobe-Rind.
Abgesichert gegen Markenpiraten
Scheffer war in den letzten fünf Jahren fast 20 Mal auf dem fernen Kontinent unterwegs, meistens in Shenzhen, einer chinesischen Zehn-Millionen-Stadt. Dort befindet sich die Firma, in der er produzieren lässt. Seitdem der Handel floriert, bekommt er aber auch regelmäßig E‑Mails aus Pakistan und Indien. Der Selfmade-Mann hat seine Erfindung gründlich abgesichert gegen Markenpiraten. Die Patentschrift für die Überstiefel ist 60 Seiten lang. Sein nächstes Ziel heißt: Osteuropa. Rinat Dassajew, der russische Welttorwart der achtziger Jahre, wird ihm als Markenbotschafter helfen, das weite Feld zu erschließen. „Wir haben die Stiefel bei bis zu minus 25 Grad getestet“, sagt Scheffer. Und wenn er das sagt, wird man das Gefühl nicht los: Er hat gerade erst angefangen, den Fußball neu zu erfinden. Bereits im Sommer erscheint eine Sporttasche, die wieder einmal alles verändern wird. Scheffer hat unten ein ausziehbares, zweigeteiltes Fach eingebaut, ähnlich wie die Krümelschublade beim Toaster. Endlich werden Fußballer ihre schmutzigen Schuhe und das nasse Handtuch sinnvoll heimtragen können. Warum da vorher noch keiner draufgekommen ist? Scheffer sagt: „Die meisten Entwickler im Fußball denken zu kompliziert.“
Der Düsentrieb der runden Kugel denkt anders. Er schaut weiter genau darauf, woran es in der Saarlandliga mangelt. Zuletzt erreichte ihn aber eine Bestellung, die sogar ihn überraschte. Ein Jäger aus Düsseldorf orderte 50 Überstiefel. Er hatte erkannt, dass sie sich bestens für seine Kunden eignen: Geschäftsleute mit edlen Schuhen. Der Waldmeister befand: Wenn diese direkt aus dem Büro in den morastigen Forst kämen, seien die Coverboots einfach ideal.