Platz 16, und nur ein Ligaspiel gewonnen – vor dem Duell gegen Köln steckt Lucien Favre mit Nizza in der Krise. Warum ist die Mannschaft so schlecht in die Saison gestartet?
Lucien Favre wirkt am Spielfeldrand ratlos, als Schiedsrichter Benoit Millot am Sonntagabend um 22:40 Uhr die Partie zwischen dem OGC Nizza und der AS Monaco beendet. Sieben Tage nach der verdienten 0:3‑Klatsche gegen Marseille geht seine Mannschaft erneut in einem Derby als Verlierer vom Platz. Mit 0:1 fällt die Niederlage zwar etwas weniger heftig als in der Vorwoche aus, am enttäuschenden Saisonauftakt des OGC Nizza ändert das jedoch wenig. Nach nur einem Sieg aus den ersten sechs Spielen steht Nizza auf Platz 16 und ist bislang weit davon entfernt, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Was läuft schief beim heutigen Gegner des 1.FC Köln?
Gleich auf der ersten Pressekonferenz nach seiner Rückkehr hatte Lucien Favre angekündigt, den Olympique Gymnaste Club innerhalb der kommenden zwei Jahre als eine der drei besten Mannschaften Frankreichs zu etablieren. Präsident Jean-Pierre Rivère sprach gar davon, den Verein in eine neue „Galaxie“ des sportlichen Erfolges führen zu wollen. Auf dem Platz zu sehen ist davon bislang wenig: Gerade einmal fünf Punkte stehen auf der Habenseite, nur die bessere Tordifferenz gegenüber Stade Brest trennt Nizza derzeit von der Abstiegszone. „Im Moment sieht es so aus, als seien die ambitionierten Versprechungen zu Saisonbeginn nichts als schöne Worte gewesen,“ sagt der französische Sportreporter Vincent Menichini von der Lokalzeitung Nice-Matin gegenüber 11 FREUNDE. „Die Fans haben viel erwartet und wurden bisher nur enttäuscht. Es ist deshalb höchste Zeit für die Mannschaft, aufzuwachen.“
Seit 2019 gehört der OGC Nizza zum britischen Milliardenunternehmen Ineos. Chef Jim Ratcliffe lebt im Steuerparadies Monaco und organisiert von dort seine Investments in der Sportwelt. Egal ob Tour de France, Formel 1 oder Segeln: Der Name Ineos taucht immer wieder auf. Die ersten Versuche im Fußball verliefen bislang allerdings wenig erfolgreich. Der FC Lausanne, ebenfalls unter den Fittichen des Riesenkonzerns, stieg in der vergangenen Saison in die zweite Schweizer Liga ab. Dazu scheiterte zu Beginn des Jahres der Versuch, den FC Chelsea zu übernehmen. Doch Ratcliffe hat bereits eine neue Idee: Er plant, bei Manchester United einzusteigen.
Für sein einstiges Herzensprojekt in Nizza scheint sich der Brite trotz seines Wohnortes an der Côte d’Azur nur noch bedingt zu interessieren. Einfluss auf den Verein übt er trotzdem aus. Dave Brailsford, Manager aus dem Hause Ineos, sowie Protégé Iain Moody als Interimssportdirektor waren in diesem Sommer dafür zuständig, gemeinsam mit Favre den Kader für die neue Saison zusammenzustellen.
Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Briten und dem Schweizer Coach soll allerdings alles andere als harmonisch verlaufen sein. Erstere haben sich vor allem auf dem britischen Markt umgesehen und unter anderem Ross Barkley von Chelsea, Mads Sörensen von Brentford, Torwart Kasper Schmeichel von Leicester sowie den walisischen Nationalspieler Aaron Ramsey verpflichtet. „Brailsford und Moody haben durch ihr Netzwerk viele Spieler aus der Premier League geholt. Eine klare Strategie ist bei ihrer Kaderplanung allerdings nicht zu erkennen. Dazu kommt: Einige dieser Spieler wollte Favre überhaupt nicht haben“, kritisiert Nice-Matin Journalist Menichini.
Der Trainer sei für ihn deshalb nicht der Hauptschuldige am schlechten Saisonstart. „Ein Koch kann ohne vernünftige Zutaten schließlich auch kein Drei-Sterne-Menü zubereiten“, sagt Menichini. Schmeichel und Ramsey etwa seien bisher weit hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben, andere Spieler wie Stürmer Gaëtan Laborde erst in den letzten Tagen des Transferfensters dazugestoßen. Für Favre sei es eine komplizierte Situation, weil er riskiere, seinen guten Ruf in Nizza zu verlieren, sollte der Trend anhalten.
Gerettet hat den Saisonauftakt ein wenig die gelungene Qualifikation für die Conference League. Doch auch der Sieg im Playoff-Rückspiel gegen Maccabi Tel-Aviv war alles andere als souverän: Nach einer Niederlage im Hinspiel wurde erst durch eine Einzelaktion von Alexis Beka Beka in der Verlängerung die Teilnahme an der Gruppenphase gesichert. „Das Auftreten der Mannschaft sowie die fehlende Kreativität in der Offensive geben nach wie vor Anlass zur Sorge“, sagt Menichini. „Der Schlendrian der ersten Wochen muss dringend beendet werden. Denn die nächsten beiden Spiele gegen Köln und am Wochenende gegen Ajaccio könnten bereits vorentscheidend für den Verlauf der Saison sein.“ Verständlich also, dass sich Lucien Favre im Vorfeld nicht in die Karten schauen lässt. Auf die Frage, ob gegen Köln Ersatzkeeper Marcin Bulka statt Kasper Schmeichel im Tor stehen könnte, antwortete er auf der gestrigen Pressekonferenz vielsagend: „Das werden wir sehen.“