Stefan Kießling musste sich den Erfolg in seiner Karriere hart erarbeiten, selten flog ihm etwas zu. Doch grade die Makel in seiner Laufbahn ließen ihn in Leverkusen zur Legende werden. Heute wird er 40 Jahre alt. Eine Würdigung.
Ähnlich kompromisslos verhielt er sich auch seinem Körper gegenüber. Als er 2016 nach einem Zweikampf im Spiel gegen Benfica Lissabon heftig zu Boden ging, war die rechte Hüfte im Eimer. Er würde nie wieder spielen können, sagten die Ärzte. Doch Kießling, so erzählte er im Interview mit 11FREUNDE, dachte nicht ans Aufhören. „Nicht eine Sekunde. Es fühlte sich eher an wie: Jetzt erst recht!“
Also kämpfte sich Kießling durch, biss auf die Zähne, trainierte und spielte mit Schmerzen. Und als es für Leverkusen im Sommer 2017 wirklich zählte, als es gegen den Abstieg ging, war er wieder da. Im entscheidenden Spiel gegen Köln traf er zum Anschluss, am Ende hielt der Verein auch Dank Kießling und dessen Wille die Klasse. Da hatten viele im Land schon fast vergessen, dass der Mann über Jahre hinweg der konstanteste deutsche Stürmer gewesen war.
„Warum setzt Löw nicht auf Sie?“
2012/2013, in seiner stärksten Saison, wurde er mit 25 Toren Torschützenkönig. 2009/2010 traf er 21-mal, 2013/14 waren es 15, 2011/12 16 Tore. Kießling rackerte, Kießling rannte, Kießling riss Lücken, Kießling traf. Doch trotzdem genügte es nie, um Nationaltrainer Löw vollends zu überzeugen. Der nahm ihn zwar zu Beginn seiner Karriere gerne mit zu Länderspielen, vertraute im Zweifelsfall aber stets anderen.
Als Löw Kießling irgendwann gar nicht mehr nominierte, der im Verein aber Tor um Tor schoss, konnte sich Kießling durch keine Mixed-Zone des Landes schlängeln, ohne mit der gleichen Frage belästigt zu werden: „Warum setzt Löw nicht auf Sie?“
Kießling ließ es über sich ergehen. Selbst, als er die Antwort längst wusste, weil Löw ihm in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt hatte, dass er als Spielertyp nicht ins Konzept passe. Doch statt in der Öffentlichkeit zu quengeln, krempelte Kießling die Ärmel hoch. Und schoss noch mehr Tore.
„Die teuerste Bratwurst, die je aus Nürnberg kam“
144 waren es unter dem Strich allein in der Bundesliga. Obwohl ihn einige schon früh zum Flop erklären wollten. Im Dezember 2006, Kießling war grade für verhältnismäßig viel Geld aus Nürnberg nach Leverkusen gewechselt, titelte die „Bild“-Zeitung: „Die teuerste Bratwurst, die je aus Nürnberg kam.“
Doch Kießling ließ sich auch davon nicht unterkriegen. Sondern rackerte einfach weiter. Er setzte sich in Leverkusen durch, wurde erst Stammspieler, dann Torjäger, dann Identifikationsfigur. Weil er immer alles tat, was in seiner Macht stand. Das sah vielleicht nicht schön aus. Aber am Ende ließen ihn das Unperfekte, die Makel und all die Rückschläge erst zu dem werden, der er jetzt ist. Eine Vereinslegende.
Der Text erschien erstmal 2018, zum Karriereende von Stefan Kießling.