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Seite 2: Das Enfant terrible, der Debütant und der Nationaltrainer

Das Enfant ter­rible
Ole ist 44 und hat wie alle hier ein bewegtes Leben hinter sich. Über dem Undercut trägt er seine Frisur wie einen Iltis spa­zieren. Einst gehörte er zu den Beset­zern der Roten Flora in Ham­burg. Seit zwölf Jahren lebt er auf den Straßen Ber­lins, eine Zeit lang sogar auf einer kleinen Spree­insel. Das per­fekte Ver­steck“, sagt Ole. Bis die Pres­seh­einis“ ihn haben auf­fliegen lassen.

Nach Berichten in ver­schie­denen Ber­liner Medien über die Insel, räumte die Stadt seinen Zufluchtsort. Mit denen spreche ich nie wieder, aber für euch mache ich ´ne Aus­nahme“, sagt er. Wo er denn jetzt lebe? Ich sag’ nur so viel: Manchmal wache ich von lautem Tor­jubel auf“, verrät er grin­send. Dann streift er sich ein lila­far­benes Tor­wart­trikot aus den Acht­zi­gern über. Tor­wart kann ich auch“, sagt er. In rund 30 Jahren Fuß­ball habe er jede Posi­tion ken­nen­ge­lernt. Nochmal dürfen wir nicht so viele Gegen­tore kas­sieren“, sagt Ole, nun wieder grimmig, und stapft davon, in Rich­tung Ver­pfle­gungs­zelt.

Der Debü­tant
Nicht ganz so viel Erfah­rung kann der 36-jäh­rige Adriel aus der hol­län­di­schen Klein­stadt Zwolle vor­weisen. Er spielt erst seit kurzer Zeit Fuß­ball. Adriel sieht aus wie Cla­rence See­dorf zu dessen Glat­zen­zeit, nur etwas schlak­siger. Seine Aktionen auf dem Platz wirken dem­entspre­chend unge­lenk: Als er das erste Mal ein­ge­wech­selt wird, stakst er über das Spiel­feld und säbelt über die ersten zwei, drei Bälle. Aber da die Hol­länder nur mit fünf Spie­lern antreten, bekommt er viel Ein­satz­zeit.

Adriel erzählt, dass er seit vier Jahren woh­nungslos ist, seit der Tren­nung von seiner Frau. Sie hat ihn raus­ge­worfen, danach habe er ein paar fal­sche Ent­schei­dungen getroffen und sich plötz­lich auf der Straße wie­der­ge­funden. Das ging sehr schnell, inner­halb weniger Wochen“, sagt er. Früher ist Adriel viel gereist, nach Spa­nien oder Marokko. Die Fahrt nach Berlin ist für ihn die erste Mög­lich­keit seit langem, dem Alltag zu ent­fliehen. Sein allein­ste­hender Gold­zahn blinkt: Viel­leicht lernen wir heute Abend in Berlin ja ein paar nette Frauen kennen“.

Adriels heu­tiger Trainer habe ihn moti­viert, Sport zu treiben. Es tut mir gut, ich fühle mich von Mal zu Mal besser.“ Über den Sport will er den Weg zurück in die Gesell­schaft finden. Adriel ist merk­lich stolz für den Euro­pean Home­less Cup nomi­niert worden zu sein. Er hat es ver­dient“, sagt sein Trainer. Als er im Spiel gegen Deutsch­land sein erstes Tor schießt, kann nicht mal das Aus­scheiden der Hol­länder in der Vor­runde seine Euphorie bremsen.

Der Natio­nal­trainer
Wäre Adriel Deut­scher, würde sich sein Name viel­leicht schon in Jiri Pacou­reks Notiz­buch wie­der­finden. Der gebür­tige Tscheche aus Nürn­berg trai­niert seit zwei Jahren die deut­sche Natio­nal­mann­schaft der Woh­nungs­losen. Die Spieler mögen den Namen Team Ger­many“ lieber“, sagt er. Das klinge inter­na­tio­naler. Pacourek selbst war jah­re­lang spiel­süchtig, ver­senkte jeden auf­find­baren Cent in den Tiefen der Auto­maten. Nach einiger Zeit verlor er auch seine Woh­nung und, wie er sagt, die Ori­en­tie­rung im Leben. Seine Liebe zum Fuß­ball habe ihn schließ­lich gerettet.

Der Fuß­ball war damals mein ein­ziger ver­blie­bener Anhalts­punkt im Leben.“ Der Wen­de­punkt war es, als er für das Team Ger­many an der Obdach­losen-Welt­meis­ter­schaft in 2010 in Bra­si­lien teil­nehmen durfte. Danach ging es bergauf.“ Pacourek schöpfte neuen Mut und enga­gierte sich als Sozi­al­ar­beiter bei Anstoß! e.V. Der Verein wird unter anderem von der Aktion Mensch“ finan­ziert und orga­ni­siert die Reisen zu den Obdach­losen-Welt­meis­ter­schaften. Seit 2013 ist Pacourek Natio­nal­trainer und wählt die WM-Teil­nehmer aus.

Die Kri­te­rien: Die Teil­nehmer müssen ent­weder in den ver­gan­genen zwölf Monaten obdachlos gewesen oder zur­zeit in einer Drogen- oder Alko­hol­the­rapie sein und zusätz­lich inner­halb der ver­gan­genen zwei Jahre keinen Wohn­sitz gehabt haben. Außerdem komme es neben der fuß­bal­le­ri­schen Leis­tung auf soziale Fak­toren an. Wir fragen uns: Bringt eine WM-Teil­nahme den Men­schen weiter? Hat er sie sich durch regel­mä­ßige Trai­nings­an­we­sen­heit ver­dient? Und steht er 14 Tage mit fremden Men­schen im Aus­land kör­per­lich durch?“ Den Kader für die dies­jäh­rige WM in Ams­terdam hat Pacourek schon zusam­men­ge­stellt. Aber: Als Natio­nal­trainer muss ich bei sol­chen Events Prä­senz zeigen, wie Jogi Löw“, sagt er.