Am Sonntag protestieren die Unioner Ultras mit einer Schweigeviertelstunde gegen das „Konstrukt RB Leipzig“. Aus dem Verein kommt dabei anfangs wenig Unterstützung. Nur einer steht eisern hinter den Fans.
Gikiewicz hätte sich mit seinem Post nicht weiter vom Gros der Getreuen des 1. FCU entfernen können. Denn im Gegensatz zu Unions Nummer Eins interessiert es die Fans sehr wohl, wer der Gegner ist. In Köpenick, wo Vereinsphilosophie und Vorstellung der Mitglieder, wie der e. V. zu führen ist, in der Regel übereinstimmen, ist Rasenball Leipzig der deutlichste Gegenentwurf zum Selbstbild. Während Union sich über seine Mitglieder definiert, verzichtet RB schon qua horrender Beitragsforderungen auf nicht erwünschte Teilhabe. 27.785 stimmberechtigten Unionern stehen nur 17 vollwertige RB-Mitglieder gegenüber. Am Sonntag prallen also nicht nur Tradition und Retorte aufeinander, sondern auch Basisdemokratie und Dietrich Mateschitz.
Die Partie gegen RB Leipzig ist für die Union-Anhänger, so drückt es das „Wuhlesyndikat“ aus, eben „kein Spiel wie jedes andere“. Dabei stößt das augenscheinliche Desinteresse ihres Stammkeepers an den von Verein und Mitgliedern geteilten Wertvorstellungen den Union-Fans in den sozialen Netzwerken bitter auf. Eine „Instagram“-Nutzerin legt Gikiewicz, der seinen Rhythmus mit „Essen, Training, schlafen, essen, Training, schlafen“ beschreibt, nahe, sich doch auch mal mit anderen zu unterhalten. Doch ein richtiger Dialog mit den Fans scheint für den ehrgeizigen Torhüter schwierig.
Denn die in seinem Appell enthaltene Kritik ist ungeeignet, um Anklang beim Anhang zu finden. Was Gikiewicz glaubt, den Fans klarmachen zu müssen, nämlich dass sie dem Team auf dem Platz für 15 Minuten nicht unmittelbar helfen, ist den Anhängern, die den Verein nicht nur unterstützen, sondern ja selbst mit aufgebaut haben, natürlich bewusst. Das „Wuhlesyndikat“ erklärt in einer weiteren Bekanntmachung, dass der Boykott eine drastische Maßnahme darstelle, aber im Stadion die wirkungsvollste Protestform sei.
Einer versteht den Protest
Öffentlich geteiltes Verständnis aus Spielerkreisen kommt dafür nur von einem Neuzugang. Ex-Dortmunder Neven Subotic, der in der letzten Saison noch für die AS Saint-Étienne spielte, gibt zwar zu, dass man sich als Spieler immer Vollgas auf den Rängen wünsche, erkennt jedoch die Notwendigkeit der Schweigeviertelstunde: „Ein Protest, der nicht wehtut, kommt meistens nicht so an und ist eher ein Luxusprotest.“
Der Subotic-Transfer dürfte für alle Union-Anhänger schon damit hinreichend legitimiert sein, doch der designierte Publikumsliebling spielt noch mehr Musik für die Ohren der prinzipientreuen Ost-Berliner Zuschauerschaft: „Ich stelle mich hinter sie. Denn auch ich finde diese Kapital-Entwicklung im Fußball nicht positiv.“ Während die meisten Köpenicker wahrscheinlich nur noch überlegen, wo man eine überlebensgroße Subotic-Statue vor der Alten Försterei installieren kann, redet der Serbe den Fans nicht nach dem Mund, wenn er das Schweigen gutheißt. Denn Neven Subotic weiß Stille im Stadion durchaus einzuordnen. Als im Mai 2016 ein Zuschauer beim Spiel der Dortmunder gegen Mainz einen Herzinfarkt erlitt und verstarb, wurde die Südtribüne still. Alles was man in 30 Minuten hörte: „You’ll never walk alone“.