Er kann auch anders. Der nette Hansi Flick hat die Bayern-Bosse um Auflösung seines Vertrags zum Saisonende gebeten. Trotz seiner epochalen Erfolge fühlt sich der Erfolgscoach beim Rekordmeister offenbar nicht genug wertgeschätzt.
Sogar Uli Köhler war baff. Und das Fieldreporter-Urgestein hat bekanntlich schon alles erlebt. Als der Sky-Reporter gestern Abend bei Uli Hoeneß am Tegernsee durchklingelte, um ihn nach der spektakulären Neuigkeit zu befragen, antwortete der Bayern-Grande mit einer Gegenfrage: „Wovon sprichst Du?“ Hoeneß wusste von gar nix – und so ging es offenbar ziemlich vielen beim FC Bayern an diesem denkwürdigen Samstagabend, an dem der Klub die Weichen für seine 31. Meisterschaft gestellt hatte. Der Rekordmeister wurde eiskalt erwischt von der Entscheidung seines Trainers: Hansi Flick hat die Bosse um die Auflösung seines bis Sommer 2023 laufenden Vertrags zum Saisonende gebeten.
Unmittelbar nach dem 3:2‑Sieg seiner Mannschaft beim VfL Wolfsburg machte der Coach Tabula Rasa. Flick informierte in kurzen Worten seine Spieler, sprintete rüber vor die TV-Kameras und machte den Entschluss, den er am Donnerstag mit dem Vorstand besprochen hatte, öffentlich. Offenkundig sah er sich zum Handeln gezwungen. „Denn es ging schon einiges an Flurfunk rum“, wie er sagte.
Aus der Sicht der stolzen Bayern-Bosse ist diese Verfahrensweise gleich in mehrfacher Hinsicht unerhört. Allein, dass mit Flick ein Chefcoach aus freien Stücken aus dem Amt scheidet, sind sie an der Säbener Straße nicht gewohnt. Der Letzte, der auf eigenen Wunsch den Klub verließ, war Pep Guardiola. Allerdings nahm der Katalane seinen Hut erst, nachdem er ordnungsgemäß seinen Vertrag erfüllt hatte. Alle weiteren Übungsleiter der vergangenen Dekade waren vom Klub vorzeitig expediert worden: Louis Van Gaal, Carlo Ancelotti, Niko Kovac. Sogar Hoeneß-Buddy Jupp Heynckes musste nach dem Triple 2013 die Kröte schlucken, dass nicht er in Eigenregie über seine Rückkehr ins Rentner-Leben entscheiden durfte, sondern ihm die Bayern mit der Bekanntgabe von Guardiolas Verpflichtung zuvor kamen.
Hansi Flick war sich offenbar bewusst, dass ein Coach den FCB in der Regel mit den Füßen zuerst verlässt – und er hatte auf diese Verfahrensweise nach allem, was ihm in den vergangenen 17 Monaten dort widerfahren ist, keine Lust. So begab es sich, dass nun ausgerechnet der gern als „der nette Herr Flick“ apostrophierte Coach eigenverantwortlich, konsequent und abrupt die Bayern-Entscheider vor vollendete Tatsachen stellte. Nette, nette, Fahrradkette.
Einige in der Chefetage werden dieses Verfahren als Affront verstehen. Doch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der freundliche Hansi, der sich fast nie im Ton vergreift und Indiskretionen stets umschifft, nun die gesamte Führungsriege auf den Topf setzt.
Was ihn letztendlich zu seinem radikalen Entschluss geführt hat, wird erst in Tagen oder Wochen durchsickern. Flick sagte gestern, er würde sich wünschen, dass die Gründe intern blieben. Sicher aber ist, dass er sich seinen Rücktritt sehr schwer gemacht hat. Als er nach dem Sieg in Wolfsburg den ebenfalls im Sommer aus München scheidenden David Alaba auf dem Rasen herzte – einen Spieler, den er gern gehalten hätte – standen ihm Tränen in den Augen. Beim Interview mit der „Sportschau“ wies er erkennbar angefasst darauf hin, dass er schon als Kind Fan des FCB gewesen sei, dass der Cheftrainer-Posten an der Säbener für ihn ein Traumjob gewesen sei und er stolz sei, Trainer dieser Mannschaft zu sein.
In der kurzen Zeit hat er aus diesem Anstellungsverhältnis alles herausgequetscht, was möglich war. Anfangs taten sich die Bosse schwer, ihn überhaupt als vollwertigen Leiter des Star-Ensembles anzuerkennen. Von November 2019, nachdem Flick für Niko Kovac übernommen hatte, bis Ende Februar 2020 brauchte der Vorstand, um sich klar darüber zu werden, ob Flick für einen längerfristigen Vertrag infrage kommt. Als die Tinte auf dem Kontrakt bis 2023 dann getrocknet war, revanchierte sich der Coach mit einer Serie von Erfolgen, die ihn noch sehr lange zu einem Solitär unter den vielen großen Bayern-Trainern machen wird. Stichwort: Sextuple.
Im Schatten des bahnbrechenden Triumphs fiel niemandem auf, dass Flick und Sportvorstand Hasan Salihamdžić bei den weiterführendenden Planung selten auf einem Nenner kamen. Flick macht sich stark für Jerome Boateng und David Alaba, er vertraut auf den Jungspund Jamal Musiala – und landet einen Volltreffer mit dieser Entscheidung. Spieler, die er sich im Sommer als Verstärkung wünschte, blieben ihm versagt. Stattdessen verpflichtete sein Vorgesetzter „Brazzo“ den Spanier Marc Roca, den französischen Außenverteidiger Bouna Sarr und lieh Douglas Costa von Juve aus. Allesamt Bausteine, die der Trainer in seiner Idee vom FC Bayern der Zukunft nicht erkennen konnte. Jedenfalls hat Flick diese Spieler zu Bankdrückern degradiert.