Mesut Özil verlässt Arsenal und wechselt zu Fenerbahçe Istanbul, er schließt damit das düsterste Kapitel seiner Laufbahn. Kann er in der Türkei zumindest seinen sportlichen Ruf retten?
Selbst der Wechsel zu einem türkischen Spitzenverein im Allgemeinen und Fenerbahçe Istanbul im Speziellen ist nicht nur logisch und stringent. Zum einen war Özil ob seiner Entscheidung für den DFB in der Türkei lange ähnlich umstritten, wie er es jetzt in Deutschland ist. Zum anderen gelten die Anhänger Fenerbahçes eher als kritisch in Bezug auf Erdogan, der 2019 sogar als Trauzeuge bei Özils Hochzeit auftauchte. Außerdem ist nicht ganz klar, wie genau Fenerbahçe Özil auf Sicht überhaupt finanzieren will. Von privaten Sponsoren ist die Rede, allerdings hat der Fall von Max Kruse gezeigt, dass auch ein Großklub wie Fenerbahçe die Kohle nicht einfach so herbeizaubern kann. Fest steht dementsprechend nur: Özils Herz hängt an Fener, es gibt Kinderfotos von ihm, auf denen er stolz das Trikot präsentiert. Anderseits betonte er als junger Spieler auch immer wieder, dass er Fan des FC Barcelona sei – und wechselte dann zu Real Madrid. Allein ums Herz geht es in seiner Karriere, und das ist völlig wertfrei gemeint, also logischerweise nicht.
In der Türkei trifft Özil nun auf einen Verein, der sich im Wandel befindet. Fenerbahçe hat zwei sportlich katastrophale Saisons hinter sich, der Kader wirkt auf den ersten Blick eher alt als spektakulär, neben den üblichen Halbstar-Oldies (Papiss Demba Cissé, Luis Gustavo, Diego Perotti, José Sosa, Enner Valencia) gibt es in Ozan Tufan eigentlich nur einen jüngeren Spieler, der aktuell auf sich aufmerksam macht. Im Sommer wurden mal wieder Trainer und Sportdirektor ausgetauscht.
Ist ihm das alles egal?
Manager ist mittlerweile Ex-Nationalspieler Emre Belözoglu, der als Spieler zur Legende wurde, aber auch – im Zusammenhang mit Özil könnte man sagen: ausgerechnet – mehrfach mit rassistischen Ausfällen auffiel. In Erol Bulut steht ein Mann an der Seitenlinie, der wie Özil in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Immerhin: In dieser Saison spielt Fenerbahce wieder um den Titel mit. Özil, so der Plan, soll jetzt die erste Meisterschaft seit 2014 eintüten. Kann er sich nach fast einem Jahr ohne Spielpraxis dazu noch einmal aufraffen? Er wirkte nie wie ein Getriebener, er war nicht der Sportler, der es allen zeigen wollte. Mesut Özil spielte dann gut, wenn er Spaß hatte, nicht wenn er wütend war. Doch er ist mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem sich selbst einstige Jünger fragen, ob er es noch drauf hat. Oder ob ihm nicht längst alles egal ist.
Es geht in den folgenden Monaten also auch darum, was von ihm als Fußballer im Gedächtnis bleiben wird. London verlässt er trotz toller erster Jahre als Gescheiterter, Real Madrid holte die ganz großen Titel erst, als er weg war, bei der WM 2014 standen andere im Rampenlicht. Andererseits gab es in den vergangenen 20 Jahren keinen anderen deutschen Fußballer, der die Fans so verzückte wie er, keinen, der Spiele so diktieren und Momente so vergolden konnte. Keinen anderen, bei dem das, was er auf dem Feld veranstaltete, so sehr nach Spiel und so wenig nach Job aussah. Und auch keinen, der entgegen der gängigen Erzählung statistisch derart abgeliefert hat wie er. In der Türkei könnte er die Menschen wieder an diesen Fußballer erinnern. Oder endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Wobei in Özils Leben ja zumindest eines garantiert ist: Egal ist er den Leuten nicht. Völlig unabhängig von dem, was auf dem Platz passiert.
-