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Das Inter­view erschien erst­mals in 11FREUNDE #230 im Januar 2021. Das Heft findet ihr bei uns im Shop.

Vin­cenzo Grifo, neu­lich haben Sie auf Insta­gram ein Bild Ihrer Tri­kot­samm­lung gepostet. Haben Sie ein Lieb­lings­stück?
Das Ita­lien-Trikot vom Spiel gegen Est­land hängt an der Wand. Wir haben 4:0 gewonnen, und ich habe meine ersten zwei Tore für die Natio­nalelf geschossen. Ein extrem emo­tio­naler Abend. Nach dem Spiel kam ich in die Kabine und wollte meiner Frau und meinen Eltern schreiben. Als ich auf mein Handy schaute, waren da 629 Whatsapp-Nach­richten. Ich habe fünf Tage gebraucht, um die alle zu beant­worten.

Das ist ver­mut­lich nicht nach jedem Spiel so.
Es ist ja kein Geheimnis, dass Ita­liener gerade beim Fuß­ball stolze Men­schen sind. Schon meine erst­ma­lige Nomi­nie­rung im November 2018 hat meine Familie sehr bewegt.

Erzählen Sie.
Ich spielte damals in Hof­fen­heim. An einem Dienstag klin­gelte das Telefon, eine mir unbe­kannte ita­lie­ni­sche Nummer. Co-Trainer Alberico Evani war dran. Er sagte, dass ich even­tuell für das nächste Län­der­spiel nomi­niert werde. Die Ent­schei­dung dar­über fiel aber erst am Freitag. Ich konnte die nächsten drei Nächte kaum schlafen. Als ich dann erfuhr, dass ich dabei bin, war ich total über­wäl­tigt. Ich weiß noch, wie ich für ein paar Minuten wie para­ly­siert eine Wand in der Kabine ange­starrt habe. Krass, dachte ich, jetzt triffst du nächste Woche diese ganzen Mega­stars. Von Juve, von Inter, von Milan. Wie soll ich mich ver­halten? Was soll ich sagen?

Sie waren auf­ge­regt?
Total, aber die Natio­nal­spieler nahmen mir die Ner­vo­sität. Ich habe mich von der ersten Minute an gefühlt, als sei ich Teil einer Familie. Zum ersten Mal auf die Mann­schaft getroffen bin ich beim Mit­tag­essen im Hotel, ich kam aus meinem Zimmer in den Spei­se­raum, und da saßen sie schon alle. Giorgio Chiel­lini, der Kapitän, stand auf und begrüßte mich direkt, Küss­chen links, Küss­chen rechts, es war, als würden wir uns ewig kennen. Er sagte: Mensch Junge, du bist aus Deutsch­land, coole Kla­motten, so was eben. Danach gehörte ich dazu. Als ich vor dem Spiel in die Kabine kam, hing da mein Trikot am Spind. Mein eigenes, ori­gi­nales Ita­lien-Trikot! Wahn­sinn. Ich nahm es in die Hand, es fühlte sich phan­tas­tisch an, ganz anders als die gefälschten Bil­lig­dinger, die ich von früher aus den Som­mer­ur­lauben von den Märkten in Sizi­lien kannte. Alles in allem waren es sehr emo­tio­nale Tage. Auch meine Familie hat diese Nomi­nie­rung gefeiert, als wäre ich Welt­meister geworden.

Wir drei Jungs auf der Rück­bank, immer Stress, weil irgend­je­mand das letzte Schin­ken­brot gegessen hat.“

Vincenzo Grifo über die Autofahrten nach Italien mit seiner Familie

Wie sah die Feier aus?
Am Tag meiner Nomi­nie­rung sagte meine Frau: Komm, Vince, wir gehen heute Abend nett essen und stoßen auf deine Nomi­nie­rung an.“ Ich dachte noch, ja okay, morgen ist zwar Spiel, aber das ist wirk­lich ein beson­derer Tag. Als ich mich oben fer­tig­ge­macht habe, hörte ich Lärm von draußen. Ich ging runter und sah alle Ver­wandten, Mama, Papa, Brüder, Onkel, Tanten, Schwager. Danach haben wir einen Auto­korso durch unsere Straße gemacht. An den Wagen hingen Fahnen und Schals, irgend­je­mand spielte die ita­lie­ni­sche Natio­nal­hymne ab. Klingt ver­rückt, ich weiß.

Klingt nach einer guten Zeit.
Zu Ita­lien habe ich schon immer eine sehr beson­dere Ver­bin­dung. Meine Eltern sind Ita­liener, bei uns zu Hause wurde nur Ita­lie­nisch gespro­chen, wir sind jeden Sommer zu fünft in einem Klein­wagen zwanzig Stunden run­ter­ge­fahren nach Lecce, wo meine Mutter her­kommt, und dann weiter nach Sizi­lien, in die Heimat meines Vaters. Es war eine unbe­schwerte und tolle Zeit, wir drei Jungs auf der Rück­bank, immer Stress, weil irgend­je­mand das letzte Schin­ken­brot gegessen hat. (Lacht.) Sowieso: In meiner Erin­ne­rung haben wir sehr viel gegessen in der Zeit und es uns sehr gut­gehen lassen. Mor­gens Crois­sants mit Vanil­le­pud­ding, danach zwei Minuten Fußweg runter zum Strand, dann wieder hoch, Pasta essen, so viel Pasta, dann Mit­tags­ruhe, dann wieder Strand, dann Kirmes in der Stadt, Man­deln, Auto­scooter, Tram­polin. Das war die schönste Zeit meines Lebens.

Vin­cenzo Grifo, 28

Geboren und auf­ge­wachsen in Pforz­heim als Sohn ita­lie­ni­scher Eltern. Spielte in der Bun­des­liga für Hof­fen­heim und Glad­bach, 2019 wech­selte er zum dritten Mal zum SC Frei­burg. Seine Bilanz im Breisgau: 154 Spiele, 46 Tore, 54 Tor­vor­lagen. Seit 2018 ist er ita­lie­ni­scher Natio­nal­spieler.

Bei Ita­liens WM-Sieg 2006 waren Sie 13 Jahre alt. Haben Sie das Tur­nier in Sizi­lien ver­folgt?
Nein, in Deutsch­land. Wir haben oft bei Ver­wandten geguckt, gerne mal mit 20, 25 Leuten. Nach dem Halb­fi­nal­sieg gegen Deutsch­land gingen zwei Mit­schüler und ich im Ita­lien-Trikot in die Schule. Wir waren sehr auf­ge­kratzt. Meine Leh­rerin fand das gar nicht lustig. Ganz ehr­lich: Wir haben auch ein wenig pro­vo­ziert, im Unter­richt haben wir ab und zu geflüs­tert: Ita­lien ist im Finale!“ Das End­spiel gegen Frank­reich haben wir dann bei meinem Onkel geschaut. Die Woh­nung ist, typisch sizi­lia­nisch, voller Por­zellan, Marmor und anderem Dekor. Ich weiß noch, wie meine Mutter ver­suchte, die Vasen zu retten, wäh­rend wir durch die Woh­nung getobt sind. Ist doch egal!“, jubelten wir. Wir sind Welt­meister!“ Danach raus auf die Straße. In Pforz­heim waren tau­sende Ita­liener unter­wegs.

Warum sind Ihre Eltern aus Ita­lien nach Pforz­heim gezogen?
Pforz­heim hat eine lange ita­lie­ni­sche Ein­wan­de­rungs­ge­schichte. Wenn man in Pforz­heim ist, denkt man manchmal, man sei in Sizi­lien. Und im Sommer in Sizi­lien fühlt es sich an, als sei man in Pforz­heim. Weil alle gleich­zeitig Urlaub machen und man jedes Gesicht auf der Piazza aus dem eigenen Viertel in Deutsch­land kennt. Jeden­falls hörten meine Eltern irgend­wann Anfang der Acht­zi­gern, dass es in Pforz­heim viel Arbeit gibt, also machten sie sich auf den Weg. Mein Papa sagt gerne: Wir hatten einen Stuhl und einen Tisch, sonst nichts.“ Er arbeitet seit 36 Jahren in einer Firma, die Auto­teile her­stellt. Meine Mama ist Steu­er­be­ra­terin. Es hat mich sehr beein­druckt und geprägt, wie sie sich alles erar­beitet und uns drei Brüder groß­ge­zogen haben,

Nach einem Tor gegen Hertha sind Sie zu einer Fern­seh­ka­mera gerannt und haben Pforz­heim 75177“ gegrüßt. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an diese Gegend?
Wir sind auf­ge­wachsen in einem Häu­ser­block in der Nord­stadt, meine zwei Brüder und ich teilten uns ein Zimmer. Mein älterer Bruder ist Juve-Fan, der jün­gere Milan-Anhänger. Ich aber habe meinem Opa ver­traut. Er hat mir mal einen Pull­over mit­ge­bracht, auf dem das Bild eines Fuß­bal­lers zu sehen war. Ich fragte ihn, wer das sei, und er ant­wor­tete, das ist Roberto Baggio von Inter Mai­land. Ab da war ich Inter- und Baggio-Fan. Es gab daher viel Streit im Kin­der­zimmer. (Lacht.) Und viel Fuß­ball auf Asphalt­plätzen.

Haben Sie dort gelernt, so gut zu schießen?
Wir haben pau­senlos gespielt. Tags­über auf unserem Schul­sport­platz. Aller­dings gab es dort kein Flut­licht; wenn es dunkel wurde, war der Spaß also vorbei. Dann bin ich rüber zum Park­platz des Super­markts, der die ganze Nacht beleuchtet war. Außerdem konnte mich da meine Mutter sehen, der Park­platz lag direkt gegen­über unserer Woh­nung.

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