Für die aktuelle Ausgabe von 11FREUNDE hat Tim Jürgens die tragischen Helden der Frankfurter Beinahe-Meistermannschaft von 1992 interviewt. Axel Kruse über seinen Helden Uli Stein, einen Kneipenwirt namens Stepi und Flipperrunden in der Stammkneipe.
Axel Kruse, Sie wechselten zur Rückrunde 1990/91 von Hertha BSC zu Eintracht Frankfurt. In was für ein Team kamen Sie?
Axel Kruse: Es war eine Mannschaft, die zum großen Teil aus Individualisten bestand. Die Qualität wurde durch Leute bestimmt, die in ihrer Art einzigartig waren: Uwe Bein, Andi Möller, Uli Stein, Tony Yeboah und viele andere.
Woran erkannten Sie, dass es sich um Individualisten handelte?
Axel Kruse: Dazu brauchte ich nicht nach Frankfurt zu wechseln. Im Herbst 1990 hatten wir mit Hertha gegen die Eintracht gespielt, schon da fiel mir auf, dass die sich immer wieder auf dem Platz gegenseitig anpöbelten und auch mal ein Pass nicht so ankam, wie er sollte. (lacht) Dabei waren das alles außergewöhnliche Kicker.
Was war das Erfolgsgeheimnis dieser Elf? Der innere Zusammenhalt offenbar nicht.
Axel Kruse: Eine Profimannschaft kann nie aus elf Freunden bestehen. Ohne Differenzen geht es nicht. Dass die Konflikte hier vielleicht noch extremer waren, kann sein. Aber Spieler wie Andy Möller auf dem Platz und Uli Stein im Tor waren damals das Maß aller Dinge. Sie machten den Unterschied.
Uli Stein galt als das schlechte Gewissen des Teams.
Axel Kruse: Wenn einer sich hängen ließ, machte der Keeper Druck. Er war eben ehrgeizig, wollte immer gewinnen. Wer in Trainingsspielen in Ulis Mannschaft stand, hat seinen Gegenspieler nicht laufen lassen, denn Uli nahm jedes Gegentor persönlich und zog einem, der nicht aufpasste, schnell mal die Ohren lang. Aber damit hat er uns auch extrem gepusht. Manchmal vielleicht ein bisschen zu extrem, aber ich kam gut mit ihm aus.
Da sind Sie aber eine rühmliche Ausnahme in der Mannschaft.
Axel Kruse: Ich war auch nicht gerade pflegeleicht und habe mir nichts gefallenlassen. Und wenn es sein musste, habe ich zurückgekloppt. Aber mal ehrlich: Für mich als Jungscher war Uli ein Held, von dem ich viel gelernt habe.
Speziell Andy Möller soll für Uli Stein wie ein rotes Tuch gewesen sein.
Axel Kruse: Wir hatten damals alle unsere Eitelkeiten, hielten uns für wahnsinnig wichtig und wollten wahrgenommen werden. Natürlich führte es zu Reibereien, wenn der eine mal mehr im Fokus stand, als der andere. Aber das hielt sich alles in Grenzen.
Sie waren Teil der Clique, die Dragoslaw Stepanovic als „Rebellen“ bezeichnete, zu der auch Uli Stein, Heinz Gründel und Lothar Sippel gehörten.
Axel Kruse: Wir waren nach jedem Training am Riederwald in der Kneipe und standen am Flipper. Wenn wir nach Auswärtsspielen im Bus nach Hause fuhren, hat Uli vorher dort angerufen, um Bescheid zu geben, damit sie noch nicht abschließen, weil wir gleich kämen. Da wurden dann auch ein paar Bierchen getrunken. Wir waren die „Rebellen“, aber aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich war der Oberrebell. (lacht)
Wie kam es zu dem Rebellen-Image?
Axel Kruse: Ich war noch von Jörg Berger nach Frankfurt geholt worden, der wie ich aus der DDR geflohen war. Allerdings wurde er nach wenigen Wochen durch „Stepi“ ersetzt. Berger war mein Ziehvater, zu dem ich ein freundschaftliches Verhältnis hatte. Deshalb habe ich mir von Stepanovic erst mal gar nichts gefallen lassen. Zugegeben, nicht besonders schlau von mir. Denn „Stepi“ war genau wie ich ein sturer Bock – und so kamen wir dann auf keinen gemeinsamen Nenner mehr.
Sie waren 24. Eigentlich hat ein Jungprofi in dem Alter Respekt vor seinem Trainer.
Axel Kruse: Mich muss man mit Argumenten überzeugen, nicht mit Sprüchen. Das ist „Stepi“ leider nie gelungen. Hinzu kam, dass ich eben von Natur aus stur war: Wenn ich nicht will, dann will ich eben nicht.
Erinnern Sie sich noch an den Tag des Trainerwechsels?
Axel Kruse: Ich hörte es morgens im Radio gehört, dass Jörg Berger entlassen worden sei.
Nachdem die Eintracht am Wochenende zuhause mit 0:6 gegen den HSV verloren hatte.
Axel Kruse: Zugegeben, ein schlimmes Spiel. Ich rief bei Uli an und fragte, wer neuer Trainer wird. Er meinte, ein Mann namens Stepanovic, der mal Spieler gewesen sei und hier in der Nähe eine Kneipe habe. Ich dachte, er macht einen Witz.
Welche Rolle spielte Berger, welche Stepanovic dafür, dass die Mannschaft schon bald für Ihr attraktives Spiel das Markenzeichen „Fußball 2000“ erhielt?
Axel Kruse: Die Anlagen dazu hat fraglos Jörg Berger gelegt, aber sicher hat „Stepi“ auch seinen Teil beigetragen. Entscheidend aber war, dass die einzelnen Spielertypen zusammen so gut funktionierten. Dadurch stellte sich der Erfolg automatisch ein. Wir hatten das Bewusstsein, gegen jeden gewinnen zu können und waren extrem selbstbewusst.
Sie konkurrierten im Angriff mit Top-Leuten wie Tony Yeboah, Lothar Sippel, Jörn Andersen und Edgar Schmitt um einen Platz in der Anfangself.
Axel Kruse: Natürlich wollte jeder spielen, aber gerade im Sturm hatten wir ein gutes Verhältnis. Ich erinnere mich gut, wenn ich anfing und Edgar auf der Bank saß, habe ich öfter mal zehn Minuten vor Ende angezeigt, dass ich raus will, damit er seinen Einsatz kriegt. Umgekehrt lief das genauso.
Fans der Eintracht sagen gerne, dass am Ende der Saison 1991/92 die Meisterschaft nun an zwei Dingen scheiterte: An der deutschen Einheit, weil in dieser Spielzeit ausnahmsweise 38. Spieltage gespielt wurden, da die Ligen zusammengelegt wurden. Und an Referee Alfons Berg aus Konz, der in der 76. Minute des letzten Spiels gegen Hansa Rostock keinen Elfmeter gab, obwohl Ralf Weber unzweifelhaft im Strafraum gefoult wurde.
Axel Kruse: Ganz ehrlich: Wir sind letztlich daran gescheitert, dass es innerhalb des Vereins zu viele Nebenkriegsschauplätze in dieser Saison gab. Dazu hat jeder aus dem Team seinen Anteil beigetragen. Wir konnten uns nicht auf ein Spiel fokussieren, weil innerhalb der Mannschaft und mit dem Trainer zu viel nebenbei passierte. Sonst wären wir garantiert Meister geworden.
Erinnern Sie sich noch an den Morgen nach der Morgen nach der Niederlage?
Axel Kruse: Wir wurden auf dem „Römer“ von Tausenden von Eintracht-Fans begrüßt. Ich weiß, dass mir unheimlich schlecht war. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass wir am Abend vorher getrunken hatten. (lacht)
Axel Kruse, was haben Sie aus Frankfurt fußballerisch mitgenommen?
Axel Kruse: Jeder Profi ist immer abhängig von seinen Mitspielern. Mit einem genialen Vorbereiter wie Uwe Bein, einem Andi Möller, der schneller mit Ball lief als ich ohne, oder mit einem Tony Yeboah zu spielen, der allein durch seine Präsenz dauernd freie Räume für mich schaffte, war es einfach ein Traum.
Was blieb menschlich aus der Frankfurter Zeit übrig?
Axel Kruse: Ich bin nach wie vor mit Edgar Schmitt sehr gut befreundet, wir telefonieren mindestens einmal in der Woche. Wenn ich Uli Stein oder Heinz Gründel sehe, freut es mich sehr. Und gerade erst habe ich Andy Möller getroffen.
Und Sie haben sich gegenseitig ignoriert?
Axel Kruse: Überhaupt nicht. Wir haben uns herzlich begrüßt, alte Geschichten rausgekramt und uns erzählt, wie eitel und gockelhaft wir früher waren. Und wir haben es auch ein bisschen bereut.