Vor zehn Jahren wurden im Stadion von Port Said 72 Fußballfans ermordet. Hier erzählen die Ultras von Al-Ahly von der schwarzen Nacht und ihren Folgen.
Was wisst ihr eigentlich über Al-Ahly? Etwas unvermittelt steht die Frage im Raum, aber Ahmed Shawkat muss unbedingt klar machen, wie groß sein Klub ist. In diesem Restaurant in Istanbul, mehr als tausend Kilometer von Kairo entfernt, ist das natürlich schwer nachzuvollziehen. Doch seinem Freund Amr Ali und ihm ist das wichtig. Also: Al-Ahly wurde 38 Mal ägyptischer Meister, häufiger als alle anderen im Land. Al-Ahly gewann 19 afrikanische Pokale, mehr als alle anderen des Kontinents. Einen größeren Klub findet man nicht in Afrika, und auch nicht viele in der Welt. Einhundert Millionen Anhänger zähle Al-Ahly, in Ägypten allein seien es sechzig Millionen, schwärmen die beiden Ultras der ersten Stunde. Keine Partei, keine Gewerkschaft, keine andere Organisation bringt dort so viele Menschen zusammen. „Wenn es den Klub nicht gäbe, würde ich das ganze Land nicht wollen“, sagt Shawkat.
Früher hätte Mustafa Mekki, der neben ihnen sitzt, in diesem Moment wahrscheinlich zumindest abschätzig mit den Augen gerollt. Auch er ist Ultra, aber von Zamalek, Al-Ahlys großen Rivalen, der ebenfalls Millionen Anhänger hat. Doch in der Fremde ist das Verbindende wichtiger als das Trennende. Mekki ist 26 Jahre alt, die beiden anderen sind ein Jahr jünger. Alle drei haben in ihrer Heimat Jura studiert und mal gehofft, aus Ägypten ein gerechteres Land zu machen. Sie haben dafür auf den Straßen von Kairo gekämpft, als dort 2011 der Arabische Frühling begann. Und sie haben irgendwann aufgegeben, verließen ihr Land, kamen nach Istanbul, als Auswanderer und auch als Exilanten.
Sie sind in dieses Restaurant gekommen, um ihre Geschichte zu erzählen und die Geschichte eines Fußballspiels, das sich in diesen Tagen jährt. Vor fünf Jahren, am 1. Februar 2012 in Port Said, spielte der heimische Klub Al-Masry gegen Al-Ahly, danach starben bei Ausschreitungen 72 Menschen. Wobei „Ausschreitungen“ nicht einmal ansatzweise das beschreibt, was in jener Nacht geschah. Denn die Menschen in der Fankurve von Al-Ahly wurden in den Tod getrieben oder schlichtweg massakriert.
Was an jenem Abend geschah, hatte Auswirkungen auf die Lebenswege einer ganzen Generation junger Ägypter. Ohne dieses Spiel wären auch die drei jungen Männer nicht in Istanbul; in die Türkei können Ägypter problemlos gelangen. Ahmed Shawkat, den eine Aura großer Ernsthaftigkeit umgibt, kam vor zweieinhalb Jahren und arbeitet heute als Stadtführer für arabische Touristen. Der betont lässige und flippige Amr Ali ist erst seit gut einem halben Jahr da und schlägt sich mit Übersetzungsjobs durch, nebenbei betreut er ehrenamtlich Kinder von Flüchtlingen. Mustafa Mekki kam schon 2013, ist inzwischen mit einer Türkin verlobt und jobbt als Aufseher in einer kleinen Textilfabrik. Ihr Leben in der Türkei ist nicht einfach, oft ist das Geld knapp, aber hier können sie ihre Geschichte offen erzählen, ohne Angst vor den Spitzeln der Geheimpolizei, die in Kairo an jeder Ecke lauern. Denn aus dem Arabischen Frühling ist in ihrer Heimat längst ein eisiger Winter der Repression geworden.