Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Seite 4: In der Todesfalle

Die größte Todes­falle jedoch wurde das Trep­pen­haus, Hun­derte flohen voller Panik hierhin. Dort prallten sie auf das ver­rie­gelte Tor, wurden gegen das Gitter gepresst, stürzten über­ein­ander. Auf der anderen Seite stand immer noch der Poli­zist Muhamed. Ohne ihn wären wahr­schein­lich dop­pelt so viele Men­schen gestorben“, sagt Shawkat. Ver­zwei­felt ver­suchte er, das Tor zu öffnen, obwohl ihm klar gewesen sein muss, dass er erdrückt würde, wenn es ihm gelänge. Dann öff­nete es sich. Mit 27 Jahren war Yussuf Muhamed das älteste Todes­opfer, seine Frau erwar­tete ein Kind.

Nach 15 Minuten Gemetzel ging das Sta­di­on­licht an, und die Angreifer ver­schwanden, ganz so, als ob sie ein Zei­chen bekommen hätten. Warum sie plötz­lich abließen, weiß Shawkat bis heute nicht. Sie hätten uns auch alle töten können.“

Tele­fonat mit dem Mörder

Das Spiel des Klubs mit den 60 Mil­lionen Anhän­gern war im Fern­sehen über­tragen worden, und alle hatten sehen können, dass es Aus­schrei­tungen gab. Über die sozialen Medien sickerten erste Infor­ma­tionen über das Ausmaß des Hor­rors durch. Zunächst war die Rede von zwei Toten, aber ein paar Minuten später schon von 20“, sagt Mus­tafa Mekki, der zur glei­chen Zeit in Kairo beim Spiel von Zamalek gegen Ismailia war, das später ange­fangen hatte. Zur Pause zün­deten die Ultras White Knights hinter dem Sta­dion ein rie­siges Feuer an, als Fanal, mit dem sie für einen Spiel­ab­bruch sorgten.

Al-Ahly-Fan Amr Ali hatte eigent­lich selber nach Port Said fahren wollen, dann aber arbeiten müssen. Jetzt ver­suchte er, wie so viele andere, einen guten Freund zu errei­chen, der dort war. Am Tag zuvor hatte er ihn, anders als sonst, mit einer Umar­mung ver­ab­schiedet. Bist du schwul, oder was?“, hatte der lachend gefragt. Jetzt ging er nicht ans Telefon, aber in der Panik von Port Said hatten viele ihr Handy ver­loren, andere waren beraubt worden. Den größten Horror erlebte eine junge Frau aus Alex­an­dria, wie sie später dem Sender Al Jazeera erzählte. Als sie ihren kleinen Bruder zu errei­chen ver­suchte, der nach Port Said gefahren war, ging jemand an sein Telefon und sagte: Wir haben ihn getötet.“ Als sie fas­sungslos fragte, wer da mit ihr spreche, sagte er: Mit dem Mörder deines Sohns.“

Überall Tote und Ver­letzte

Als das Telefon von Ahmed Shawkat klin­gelte, war die Mutter des Nach­bars­jungen Muhamed Khaled dran, den er nach Port Said mit­ge­nommen hatte. Sie konnte ihren Sohn nicht errei­chen. Doch Shawkat, selbst noch unter Schock, hatte ihn aus den Augen ver­loren, als der Angriff auf die Kurve begann. Jetzt lagen überall Ver­letzte und Tote. Einige Fans waren sogar in die Umklei­de­ka­bine von Al-Ahly geflohen, einer starb in den Armen von Star­spieler Mohamed Abou­trika. Aber viel­leicht war Muhamed Khaled auch in einem Kran­ken­wagen weg­ge­bracht worden.

Drei Stunden wurden sie am Sta­dion hinter einem Kordon aus Sol­daten fest­ge­halten. Men­schen aus der Nach­bar­schaft, die helfen wollten, wurden nicht durch­ge­lassen. Dann brachte das Militär die trau­ma­ti­sierten Fans zum Bahnhof. In einem unbe­leuch­teten Zug fuhren sie durch die Nacht und nur das Wim­mern der auf dem Boden lie­genden Ver­letzten war zu hören. Hun­derte hatten Wunden, aber die meisten wollten in Port Said nicht ins Kran­ken­haus, aus Angst, dort getötet zu werden.

Die aus dem Zug stiegen, sahen aus, als kämen sie aus dem Krieg“

Amr Ali

Als sie am frühen Morgen in Kairo ankamen, waren die Bahn­steige über­füllt. Die aus dem Zug stiegen, sahen aus, als kämen sie aus dem Krieg“, sagt Ali, der mit Tau­senden gekommen war, um Kinder, Brüder oder Freunde zu suchen. Seinen Freund fand er nicht. Auch Muhamed Khaled blieb ver­schwunden, und so fuhr Shawkat mit dessen Mutter am nächsten Tag nach Port Said, um die Kran­ken­häuser und die Lei­chen­schau­häuser abzu­su­chen. Dort erfuhren sie, dass die Lei­chen und die Schwer­ver­letzten von einer Mili­tär­ma­schine nach Kairo gebracht worden waren.

In Kairo gingen sie dorthin, wo die Toten von Port Said in Reihen auf­ge­bahrt waren. Es war fürch­ter­lich. Wir haben uns Toten für Toten ange­schaut. Einigen war Port Said“ oder UGE“ in die Stirn geritzt worden – Ultras Green Eagles.“ Die Mörder demü­tigten ihre Opfer noch im Tod. Ihren Sohn konnte Muha­meds Mutter nur anhand der Schuhe iden­ti­fi­zieren. Sein Gesicht war zu ent­stellt, er war im Gedränge vor dem ver­schlos­senen Tor erdrückt worden. Auch der Freund von Amr Ali lag im Lei­chen­schau­haus. Der Trommler von Al-Ahly war tot.