Jubelnde Fans, Hightech-Stadien, Gäste aus aller Welt – und Rechtlosigkeit, Folter, behördliche Willkür. Ein Essay über Russlands WM-Inszenierung.
Als die Olympischen Spiele 1980 zu Ende gingen, weinte das ganze Land der Werktätigen mit. Bei der Abschlusszeremonie im Luschniki-Stadion sangen die Zuschauer „Doswidanja“, auf Wiedersehen, während ein riesengroßes, braunes Bärchen, das Olympia-Maskottchen, in den Himmel stieg. In der selben Moskauer Arena werden jetzt 2018 Eröffnung und Abschluss der Fußball-WM ausgerichtet.
Die „problematischen Elemente“
Der Fußball ist in diesem Sommer dahin gekommen, wo ich herkomme. 1980 war ich vier Jahre alt und wir saßen in Astrachan, mitten in der tiefen russischen Provinz vor dem Bildschirm eines sowjetischen Fernsehapparats, der „Birke“ hieß. Es gab nur zwei Sender, den Ersten Staatlichen Kanal und den Zweiten Staatlichen Kanal. Auf dem Ersten stieg das Riesenbärchen, von heliumgefüllten Luftballons gezogen, in die Wolken empor. Es war auch der Abschied von einem Sommermärchen, das nach Sehnsucht gerochen hatte, nach Ferne und Ausland. Alle fühlten, dass das Olympiabärchen dahin flog, wohin keiner von uns fliegen konnte – in die Freiheit.
Für die Dauer der Olympischen Spiele waren „problematische Elemente“ wie Prostituierte und traditionell kritische Studenten aus Moskau entfernt worden. Doch alle anderen, die in der Stadt bleiben durften, erzählten noch Jahre später, wie es war, den Sportlern, Journalisten und Gästen aus der Sphäre des westlichen Wohlstands zu begegnen, wie man die globale Ausgelassenheit berühren konnte, wie bunt die Feiern waren, wie frei der Kontakt zu Ausländern, wie voll die Regale in den Lebensmittelläden.
Keine toten Winkel
Während der Olympischen Spiele starb der beliebte und halbzensierte Sänger, Dichter und Schauspieler Wladimir Wyssozki, ein Idol unserer Elterngeneration. In die Tränen bei der Olympia- Abschiedsfeier mischte sich bei manchen die Trauer um ihr unangepasstes Idol. Der Kreml hätte diesen Todesfall am liebsten ignoriert, man ließ eine unscheinbare Anzeige drucken und doch kamen Tausende zum Abschied. Menschen erzählten, dass sofort nach der Trauerfeier Lastwagen mit Wasserstrahlen die Straßen säubern mussten, auf denen die Fans ihre Blumen gelegt hatten.
Heute glänzt das Luschniki-Stadion im Hightech-Design, es wurde komplett saniert, Glanz und Stahl. Stolz berichteten die Bauunternehmer Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin von der Schiebedachkonstruktion über den Zuschauerrängen, und dass es keine toten Winkel mehr gebe. Von überall aus kann man jetzt das Geschehen auf der beheizbaren Rasenfläche beobachten, die mit Nährstoffen aus Deutschland gedüngt ist. Moskaus Bürgermeister blickte bei der Übergabe des Stadiums leicht geistesabwesend in die Kameras, als könne er diese Verwandlung kaum fassen.