Der AC Mailand befindet sich im Umbruch – an gleich mehreren Fronten. Bleibt der sportliche Erfolg aus, drohen nicht bloß finanzielle Probleme. Die kritischen Stimmen werden lauter und rufen nach einem alten Bekannten.
Zu den größten Herausforderungen als Jungspund gehörte es, sich erwachsenen Vorstellungen von kindgerechtem Bildungsfernsehen zu widersetzen und den „ Super Toy Club “ zu schauen. Harrte man im toten Winkel des elterlichen Blickfeldes lange genug aus, offenbarte sich zum Finale jeder Ausgabe stets derselbe Wunsch. Einmal selbst Teilnehmer zu sein, um sich in wenigen Minuten mit so vielen Spielsachen wie nur möglich einzudecken.
Ähnliches gibt es auch im Fußball. Anstelle von Kindern werden Erwachsene ausgestattet – anstatt mit Spielsachen, gibt’s Trainingsbekleidung. Auch der AC Mailand lässt sich eindecken – seit 1998 von Adidas. Doch mit dieser Saison endet die Zusammenarbeit zwischen den Rossoneri und dem Hersteller aus Herzogenaurach. Die Suche nach einem neuen Ausrüster ist nicht die einzige Herausforderung, der sich die Mailänder zu stellen haben.
Berlusconi gibt sein Spielzeug ab
Mit dem Verkauf des AC Mailands im Frühjahr dieses Jahres beendete Italiens ehemaliger Ministerpräsident und Vorreiter des Bunga-Bunga, Silvio Berlusconi, die eigene 31-jährige Ägide. In einem nach Berlusconi „noch größerem Akt der Liebe“, als bei dessen Amtsantritt, wechselte der Verein für 520 Millionen Euro den Besitzer – inklusive der 220 Millionen Euro Schulden. (Nähere Hintergründe lest ihr hier »>). War der AC Mailand in den vergangenen 30 Jahren zumindest das Spielzeug eines Landsmannes, liegt das Schicksal der Tifosi nun in den Händen von chinesischen Investoren und einem amerikanischen Hedgefonds namens Elliott Management Corporation.
Jede Position einmal neu besetzt
Li Yonghong, auf dem Blatt der neue Eigentümer des AC Milan, hat sich dazu verpflichtet jährlich etwa 150 Millionen Euro in den Verein zu investieren. Dadurch kommen Zahlen wie die folgenden zu Stande: 194,5 Millionen Euro Ausgaben, 35 Zugänge aus 13 verschiedenen Ligen. Macht unter dem Strich eine Transferbilanz von 162,5 Millionen Euro – minus versteht sich. Jede Position im Spielsystem der Tifosi wurde mindestens einmal neu besetzt. Zur Not auch aus ein und derselben Familie (Antonio Donnarumma stößt zu seinem Bruder Gianluigi dazu). Die Anzahl an kadertechnischen Veränderungen erinnert an die des Ministerpräsidentenpostens der Landesregierung – mit vergleichbarem Erfolg.
Der gehört alter Tage an. Einst feierte sich der AC mit den drei Streifen auf der Brust von Titel zu Titel. Die Freudengesänge eines Filippo Inzaghi, „Oh mia bella maddunina“ (Oh meine schöne, kleine Madonna) nach Pokalsiegen (2002÷03), drei Meisterschaften (98÷99, 03/04 und 10/11) und zwei Champions-League-Triumphen (02÷03 und 06/07) sind jedoch längst leise Töne aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit. Der AC Mailand verließ die Erfolgsspur und findet sich in der Saison 2017/18 weit entfernt von der Ligaspitze wieder. Aktuell liegt der AC Milan auf dem achten Tabellenplatz – zwölf Punkte Abstand auf Spitzenreiter Neapel. Den eigenen Erwartungen hinkt man seit Jahren hinterher.
Wie der Verein, so die Spieler
Wie der Verein, werden auch die zahlreichen Neuzugänge den allgemeinen Erwartungen nicht gerecht. Die Kreativabteilung um die millionenschweren Neuverpflichtungen Hakan Calhanoglu und Franck Kessié behalten ihre Spielfreude meist für sich, der im Vorfeld wochenlang angekündigte Transfer eines gestandenen Topstürmers war am Ende ein 21-jähriges Talent – André Silva – mit einer bisherigen Assistbilanz von Null und auch der mit 40 Millionen Euro aktuell wertvollste Verteidiger der Welt – Leonardo Bonucci – schaffte es nicht die wackelige Defensive der Rossoneri zu stabilisieren. Es läuft noch nicht richtig rund beim AC Mailand – von vorne bis hinten.
Immerhin der erste Sieg vergangenen Mittwoch seit über einem Monat im Spiel gegen Chievo weist nach Meinung Hakan Calhanoglus „ einen Schritt in die richtige Richtung “. Der Türke traf am zehnten Spieltag das erste Mal für die Rossoneri. Abseits des Platzes wird der Wunsch nach der Rückkehr eines altbekannten Seniors lauter: Bestäuber der Blüte alter Zeiten – Carlo Ancelotti. Der aktuelle Mann an Milans Seitenlinie hat zwar keinen weniger klangvollen Namen als sein Vorgänger, bislang jedoch weniger Erfolg. Vincenzo Montella war im Spiel gegen Chievo unter Zugzwang. Nach eigener Meinung konnte seine Mannschaft „die mentale Blockade lösen und den Erfolg zumindest für einen kurzen Moment genießen“, bevor man heute Dauermeister Juventus empfängt.
Der letzte Zeuge glorreicher Zeiten
So wie Montella, bleibt auch Adidas vorerst Teil der Rossoneri. Letzerer wird sich aber definitiv zum Ende der Saison verabschieden – als letzter Zeuge der glorreichen, vergangenen Zeiten AC Mailands. Es kann als endgültiger Schlussstrich einer Epoche gesehen werden. Das Logo mit den drei Streifen auf der Brust der Tifosi wird ersetzt werden. Wodurch ist noch unklar. Deutlich klarer hingegen ist die durchwachsene Lage des einstigen Topklubs Europas. Und auch, dass es Zeit braucht, um mit neuer Mannschaft, Inhaber und Ausrüster zurück in die Erfolgsspur zu finden.
Derweil startete im vergangenen Monat eine Neuauflage des „Super Toy Clubs“. Wie bei Milan mit neuen Protagonisten. Momentan spricht mehr für einen Erfolg des Ersteren.