Ajax Amsterdam stürmt weiter durch die Champions League und begeistert weiter die Fans weltweit. Dabei gebührt der Mannschaft noch viel größeres Lob, denn: Ganz nebenbei lässt sie an uralten Fußballfloskeln zweifeln.
Der Fußball hat viele Probleme und eines der größten Henne-Ei-Probleme überhaupt. Dabei geht es um die Frage, was zuerst da war: die Floskel oder der Funken Wahrheit, der ihr innewohnt.
Das ist deshalb ein Problem, weil es die Diskussion über den Fußball allzuoft auf ein furchtbar langweiliges Niveau degradiert.
Da ist zum Beispiel die beliebte Sage von den fehlenden Automatismen. Wer genau sie wann zum ersten Mal in den Bottich der haltlosen Erklärungen geworfen hat, ob es zunächst eine Journalistenfrage war, die von den Trainern gern angenommen wurde, oder ob es die Erklärung eines Trainers war, die von Journalisten in der Folge als gegeben übernommen wurde? Unklar. Klar ist nur: die fehlenden Automatismen sind eine schrecklich Floskel und Ausrede, die sich wirklich interessanten Auseinandersetzungen über das Spiel in den Weg stellt.
Denn natürlich sind Abläufe in jedem Sport wichtig, doch wenn es eine Mannschaft und ihr Trainer in den endlos langen Vorbereitungen und täglich mehrfachen Trainingseinheiten nicht schaffen, ihrer Idee vom Spiel genügend Sicherheit und also Automatismen einzuschleifen, sind entweder sie oder die Idee nicht gut genug. Und wer jemals in die Bredouille kommt, sich einem Gesprächsangriff zu dieser Thematik ausgesetzt zu sehen, trumpfe bitte mit der Karte „SV Darmstadt 98, Saison 2015/16“ auf.
Eine Karte, auf der folgendes geschrieben steht: Vom-Fast-Abstieg in der 3. Liga innerhalb von zwei Jahren in die Bundesliga geschwebt; 16 Neuzugänge vor Saisonbeginn (inklusive Sandro Wagner!) und kaum Spieler beim Trainingsauftakt; Underdog-Level unendlich; nach sieben Spieltagen und trotz Spielen gegen Dortmund, Werder, Schalke nur eine Niederlage (gegen die Bayern), gefolgt vom Klassenerhalt. Ach ja: Automatismen? Fehlanzeige.
Leider ist das bei weitem nicht die einzige Floskel, die die Gesprächskultur über den Fußball in den Dauerwürgegriff nehmen. Und manche von ihnen sind sogar abhängig vom Wettbewerb. Womit wir bei Ajax Amsterdam wären und dem großen Dienst, den sie, neben dem wunderbaren Fußball dieser Saison, obendrein noch leisten.
Wer international erfolgreich sein möchte, braucht eine starke heimische Liga!
Beliebtes Argument von Bayern-Fans. Die Logik dahinter: Wer Woche für Woche mit 70 Prozent von Liga-Erfolg zu Liga-Erfolg fliegt, ist das dann folgende Niveau auf europäischem Spitzenniveau nicht gewohnt. Zudem natürlich: Akuter Spannungsabfall im Frühjahr, weil — heimische Liga längst souverän gewonnen, während es im europäischen Wettbewerb gerade erst so richtig los geht. Auch Super-Super-(Pep)-Syndrom genannt.
Gegenrede: In der Uefa-5-Jahreswertung liegt die niederländische Eredivisie auf Rang elf; hinter den Eliteklassen aus der Türkei, der Ukraine oder Belgien. Von wenigen Ausnahme-Jahren abgesehen, geht der Titel immer entweder an Ajax, PSV (Eindhoven) oder Feyenoord (Rotterdam). Die Duelle gegen die anderen Liga-Teilnehmer verkommen meist zum besseren Torschuss-Training. Von wöchentlichem Sparring auf Spitzenniveau kann also im Fall von Ajax 2018/19 keine Rede sein.