Salo Muller wurde als Masseur von Ajax Amsterdam in den Sechzigern berühmt. Doch sein größter Sieg gelang dem Holocaust-Überlebenden viele Jahre später: Hollands Eisenbahn entschädigt die Nachkommen der ermordeten Juden.
Ausgestattet mit diesen Fähigkeiten, tut Salo Muller, was er denkt tun zu müssen, unermüdlich. Dabei lässt er sich ausbeuten von dem Klub, an dem sein Herz hängt. Es braucht einen Buchhalter, der ihn eines Tages darauf hinweist, dass er bei einem Pensum von achtzig Wochenstunden einen Stundenlohn von zweieinhalb Gulden bekommt. Als er 1972 um eine Verbesserung seiner Bezüge bittet, setzt man ihn kurzerhand vor die Tür. Muller heiratet, gründet eine Familie und baut eine gutgehende Praxis auf, die zahlreiche bekannte Sportler und Künstler regelmäßig aufsuchen.
Entschlossen und hartnäckig bleibt er auch hier. Und genau diese Eigenschaften zeichnen ihn fast ein halbes Jahrhundert später aus, als er in den Kampf gegen die niederländische Bahn zieht. „Seine Arbeitsweise war die gleiche wie als Masseur bei Ajax“, schreibt das „NRC Handelsblad“, als das erfolgreiche Ende im letzten November vermeldet wird. „Sanft, wo es möglich ist, drängend und drückend, wenn nötig.“
Mit Fußball hat Salo Muller nicht mehr allzu viel zu tun, als die Sache beginnt. Natürlich nicht so wenig wie als Kind, als er in den Verstecken so gut wie kein Spielzeug, keinen Ball und erst recht keine Freunde hatte. Doch außer dem regelmäßigen Besuch der Ajax-Heimspiele mit seiner Frau ist da nicht mehr viel. Stattdessen erzählt Muller lieber auf Lesungen von seinen Erlebnissen während der deutschen Besatzung. „Ich bin weiter infiziert“, nennt er das selbst. Das Schicksal seiner Eltern, und auch der Schwiegereltern, die in Sobibor ermordet wurden, treibt ihn noch immer an.
Ein Anstoß von außen bringt Bewegung in die Sache
Auch das mit den Zügen kommt immer wieder hoch. Rund 107 000 Juden haben die Nederlandse Spoorwegen deportiert. Pro Person hat die Bahn den deutschen Besatzern dafür fünf Gulden in Rechnung gestellt, später sogar sieben Gulden und fünfzig Cent. Umgerechnet drei Millionen Euro hat sie damit verdient. „Ich finde, wenn jemand etwas stiehlt und dabei erwischt wird, muss er es zurückzahlen“, sagt Muller. „Die Bahn wurde sozusagen geschnappt. Alle sagen bloß, das hätte sie aber nicht tun dürfen. Ich sage: ‚Das Geld muss zurück!‘“
Jahrelang trägt er diesen Gedanken mit sich herum, bis Ende 2014 ein Anstoß von außen Bewegung in die Sache bringt. Muller liest in der Zeitung von der Entscheidung der französischen Bahn, überlebenden Juden und ihren Nachkommen in den USA sechzig Millionen Dollar zu zahlen. Wenn das in Frankreich geht, warum nicht auch in den Niederlanden, denkt er sich – und schreibt einen Brief an die Bahndirektion, in dem er seine ganze Geschichte erzählt.
Die Antwort lässt auf sich warten. Es ist 2016, als Salo Muller Post von einem PR-Mann des Unternehmens bekommt: „Man hat meinen Brief zur Kenntnis genommen, bedauert alles außerordentlich, doch von Entschädigungen kann keine Rede sein.“ Ganz offenbar hat der Schreiber dieser Zeilen keine Ahnung, mit wem er es zu tun hat. Salo Muller, dieser freundliche, charmante und allseits beliebte Zeitgenosse, nennt sich selbst einen „Pitbull“. Und der gibt nun nicht etwa auf, sondern verbeißt sich in die Sache. „So leicht kommen Sie nicht davon“, schreibt er zurück. „Ich will ein Gespräch.“