Er war der erste Premier-League-Schiri, der die Schallmauer von 100 Roten Karten durchbrach. Auch sonst hat sich Mike Dean nicht nur Freunde gemacht. Nun trat er ab, mit einem allerletzten Ausrufezeichen.
Sein Arbeitsnachweis ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. 22 Jahre lang war Mike Dean Schiedsrichter in der englischen Premier League. Er hat 560 Spiele geleitet, weit über 2.000 Gelbe und 114 Rote Karten verteilt – was ihm, nebenbei bemerkt, die höchste Verwarnungs- und Platzverweis-Quote aller PL-Unparteiischen beschert.
Doch die Rolle, die dieser Michael Leslie Dean im englischen Profi-Fußball gespielt hat, lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Der 53-Jährige, der am vergangenen Sonntag zum letzten Mal als Unparteiischer auf dem Rasen stand, war einerseits eine Kultfigur, eine Art schiedsrichternder Mr. Bean. Ein letzter menschlicher Unterhaltungsfaktor in der immer seelenloseren Milliardenmaschine Premier League. Aber auch ein hoffnungslos eitler Selbstdarsteller mit klarem Hang zum Kleinkariertsein.
Das Zücken von Karten liebte Mike Dean offenbar so sehr, dass er es zu einer eigenen Kunstform erhob. Im Vollsprint raste der kleine Mann mit dem lichten Haupthaar in Richtung Tatort, um dann – etwa fünf Meter vor dem Ziel – abrupt abzubremsen, betont würdevoll auf den Übeltäter zuzuschreiten, in einer einzigen fließenden Bewegung den Karton zu zücken und diesen fast beiläufig zu verteilen. Natürlich ohne den Übeltäter auch nur eines Blickes zu würdigen.
„No-Look-Booking“, so taufte der Boulevard diese durchchoreographierte Art des Kartenverteilens. 2016 zeigte Mike Dean dem damaligen Everton-Profi Ross Barkley Gelb, während er dem Bestraften demonstrativ den Rücken zuwandte. Auch andere Mike-Dean-Karten schrieben Geschichte: Als Sergio Agüero seinen Klub Manchester City 2012 in allerletzter Sekunde zum Meistertitel (vor ManUtd) geschossen hatte und sich im Jubelwahn das Trikot vom Leib riss, stand Mr. Dean schon bereit, als habe er nur auf das Vergehen gewartet. „Ich hatte keine Wahl“, gab der Schiedsrichter anschließend zu Protokoll. „Das sind die Regeln.“
Doch auch dort, wo es Spielraum gab, griff Mike Dean meist zur Karte. Zeigte er einem Spieler Rot, was er augenscheinlich gern tat, quittierte er die Entscheidung obendrein mit einem mehrfachen, deutlich überbetonten Achselzucken und einem ratlosen Blick, der sagen wollte: Was soll ich machen? Wer nicht brav sein will, den muss ich halt hinausstellen. Auf Deans ellenlanger Opferliste finden sich viele große Namen wie Andy Cole, Michael Ballack, Fernando Torres oder Raheem Sterling.
Der englische „Telegraph“ empfahl dem „Kartenspieler“ einst, „lieber ein paar ruhige Worte an die Fußballer zu richten als gegen sie in den Krieg zu ziehen“. Die Fußball-Website punditfeed.com spottete vor einigen Jahren: „Die einen halten Mike Dean für ein ständig beleidigtes, nach Aufmerksamkeit strebendes, streitsüchtiges kleines glatzköpfiges Männlein mit einem Napoleon-Komplex. Die anderen verweisen darauf, dass er nicht komplett glatzköpfig ist.“
Für seinen letzten Einsatz hatten die Spieltags-Planer der Premier League diesem Referee wohlweislich eine eher bedeutungslose Partie zugewiesen – denn Mike Dean wird nachgesagt, er spiele allzu gern Schicksal. Und die Liga wollte weder den Endspurt im Titelrennen, noch das Finish im Abstiegskampf zur großen Schiri-Show mutieren lassen.
Woche für Woche werden Amateurschiedsrichter körperlich und verbal attackiert. Gleichzeitig verlieren immer mehr aktive Referees die Lust am Pfeifen. Wie finden Verbände und Klubs zu einem neuen Miteinander zwischen Spielern und Schiris?