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Die Leute im Raum starren mich an, ein paar schmun­zeln ungläubig. Habe ich gerade wirk­lich gegen den Fern­seher getreten? Ich muss, am Boden rob­bend, ver­sucht haben, den Vol­ley­schuss von Tomas Rosicky irgendwie ins Tor zu lenken und erwischte dabei den Fern­seher. Der Ball klatscht an die Latte.

Am Ende ver­liert Tsche­chien das Halb­fi­nal­spiel gegen ein mau­erndes Grie­chen­land in der Ver­län­ge­rung. Es ist das erste und ein­zige Sil­ver­goal der Fuß­ball­ge­schichte. Tomas Rosicky sitzt zusam­men­ge­kauert auf dem Rasen von Porto, ich im Wohn­zimmer der Familie meines grie­chi­schen Freundes. 

Man möchte auf den Platz rennen und sich bedanken

Wäh­rend der Euro­pa­meis­ter­schaft 2004 bietet die tsche­chi­sche Natio­nalelf eine nahezu per­fekte Sym­biose aus Kampf, Sie­ges­willen und Technik. Für letz­teres steht vor allem Rosicky, der bei diesem Tur­nier Pässe aus der Tiefe spielt, die so schön sind, dass man jedes Mal auf den Platz rennen und sich bei dem schmäch­tigen Spiel­ma­cher bedanken möchte. Diese EM hätte ihm gehören können, wären da nicht die Latte und die grie­chi­schen Zement­profis im Weg gewesen. Hätte, wäre – spricht man über Rosi­ckys Kar­riere, ver­fällt man zwangs­läufig in den Kon­junktiv.

Bei Borussia Dort­mund wird das von Sparta Prag abge­wor­bene Wun­der­kind sofort nach seiner Ver­pflich­tung im Jahr 2000 ver­ehrt, immerhin ist er mit 25 Mil­lionen Mark der teu­erste Neu­zu­gang der Bun­des­li­ga­ge­schichte zu diesem Zeit­punkt. Auch die west­fä­li­schen Fans schließen ihn direkt ins Herz: Hömma, iss mal n paar Schnitzel“, prollt ein BVB-Fan den hageren Tsche­chen an, und prompt hat er auch einen Spitz­namen. Ich beginne dieses Schnitzel zu mögen.

In seiner zweiten Saison wird der BVB Meister. Das ungleichste Traumduo aller Zeiten, bestehend aus Tomas Rosicky und Jan Koller, gibt dem kri­sen­ge­schüt­telten Verein wieder ein Gesicht. Vor allem zum Sai­son­ende macht häufig Rosicky mit seiner Genia­lität den Unter­schied. Sein punkt­ge­naues Timing und seine Über­sicht bringen ihm einen wei­teren Spitz­namen ein: Kleiner Mozart“.

Ich erwi­sche mich zuneh­mend dabei, wie ich Spiele der Borussia aus Dort­mund ver­folge, dabei ist doch die andere Borussia mein Verein. Zu ele­gant sind die Bewe­gungen des Tsche­chen, zu sehr bilde ich mir ein, dass der Prager Junge ein Kumpel von mir wäre, mit dem ich nach dem Spiel ein tsche­chi­sches Bier trinken ginge, wenn er mich kennen würde.

Eine Frisur, an die sich heute kaum mehr jemand ran­traut

Denn Rosicky ist nicht nur vir­tuos auf dem Platz, son­dern besitzt auch diese ange­nehme Nor­ma­lität in seinem Auf­treten. Als Frisur bevor­zugt der Tscheche ein Modell ver­gan­gener Tage, an das sich heute kaum mehr jemand ran­traut: Der Mit­tel­scheitel. Er trägt ihn von Tag eins an mit einer läs­sigen Selbst­ver­ständ­lich­keit und einer knall­harten Igno­ranz gegen­über jeg­li­chen Iro­kesen-Trends und Fuß­baller-Normen. Anfangs hilft er noch mit Haargel nach, später lässt er die Mähne flat­tern. Wenn er denn mal auf dem Platz steht. 

Eine Zeit lang trug ich die Haare auch etwas länger. Im Sport­un­ter­richt erwischte ich beim Fuß­ball­spiel einen guten Tag, ein Kol­lege rief mir nach einem gelun­genen Dop­pel­pass zu: Wie Rosicky und Nedved!“ Ich schüt­telte das Kom­pli­ment ver­legen ab, obwohl es das beste in meiner erbärm­li­chen Fuß­baller-Kar­riere war. Sofern er mit Rosicky mich meinte.

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Nach sechs Jahren beim BVB legt der eins­tige Wun­der­knabe das schwarz-gelbe Trikot ab und folgt dem Ruf Arsène Wen­gers zum FC Arsenal. Seine Ent­wick­lung ist in Dort­mund etwas ste­hen­ge­blieben, häufig wirkt er apa­thisch auf dem Platz. Mir hätte nichts bes­seres pas­sieren können“, sagt der mitt­ler­weile 25-Jäh­rige in der FAZ“ nach der Ver­kün­dung des Wech­sels.

Nicht Nick Hornbys Fever Pitch, son­dern die neue Nummer sieben der Gun­ners sorgt dafür, dass ich den Verein aus Nord-London und die Pre­mier League plötz­lich inter­es­sant finde. Rosi­ckys erste Spiel­zeit auf der Insel ver­läuft, wie so oft in seiner Kar­riere, durch­wachsen. Zu groß sind die Fuß­stapfen der wohl besten Flü­gel­zange aller Zeiten bei Arsenal, bestehend aus Freddie Ljung­berg und Robert Pires, in die Rosicky gemeinsam mit dem Ex-Stutt­garter Alex­andr Hleb rein­wachsen soll. 

Flanken sind nicht gerade seine Stärke, zumal sein linker Fuss nicht annä­hernd mit soviel Gefühl ver­sehen ist wie sein rechter. Bei Dort­mund wusste er diese Schwäche durch Außen­rist-Flanken auf Kol­lers hoch­ra­genden Schädel zu kom­pen­sieren. Bei Arsenal wirkt Mozart auf dem linken Flügel häufig ver­loren. Meist ist er nur ein solider Mit­läufer, kein Diri­gent. 

Ihm dafür feh­lendes Durch­set­zungs­ver­mögen vor­zu­werfen, wäre zu ein­fach. Immer wieder werfen ihn Ver­let­zungen aus der Bahn, die schwer­wie­gendste zwingt ihn im Früh­jahr 2008, nachdem er sich in Top­form in die Stammelf spielt, zu über einem Jahr Pause. Seit der Ver­pflich­tung Mesut Özils ist Rosicky end­gültig nur noch ein Ergän­zungs­spieler, seine Ein­satz­zeiten sinken stetig. 

Fuß­bal­le­risch zwei Jahre jünger

Im heu­tigen Spiel gegen seinen Ex-Klub aus Dort­mund wird Mozart“ ver­mut­lich auf der Bank sitzen. Die Fans und auch Arsène Wenger lieben Rosicky. Den­noch sieht es der­zeit so aus, dass die Kar­riere des 34-Jäh­rigen beim FC Arsenal geräuschlos aus­laufen wird. In einem Inter­view mit dem Mirror“ sagt er, dass er fuß­bal­le­risch zwei Jahre jünger sei, weil er zwei Jahre lang nicht spielen und trai­nieren konnte. Arsène Wenger besinnt sich bei der Auf­stel­lung ver­mut­lich eher auf Rosi­ckys wahres Alter. 

Die Familie meines grie­chi­schen Freundes hat meinen Fauxpas von der EM 2004 mitt­ler­weile ver­gessen. Den tra­gi­schen Helden des Halb­fi­nals, Tomas Rosicky, kennen sie ver­mut­lich auch nicht mehr.