Das aufregendste Experiment des europäischen Fußballs: Erstmals wurde der FC Midtjylland Dänischer Meister – mithilfe von Computern und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Im Europapokal trifft der Klub auf Man United.
Rasmus Ankersen hat mit Bak zusammen in der Jugend des FC Midtjylland gespielt und damals sogar in einer WG gewohnt. Allerdings beendete Ankersen seine Karriere wegen einer schweren Knieverletzung schon mit 21 Jahren. Er wurde Jugendtrainer und fing an, Bücher über Erfolg im Sport zu schreiben. Irgendwann hielt er Vorträge, später auch auf Englisch. Heute lebt Ankersen in London und reist von dort aus um die Welt, seine Vorträge werden fünfstellig honoriert. Er berät Unternehmen wie Lego, Facebook und Ikea und ist seit vergangenem Juni auch noch Vorstandsvorsitzender des FC Midtjylland und damit Boss seines alten WG-Kumpels.
Die Aufstiegschancen? 42,3 Prozent
Ankersen hat die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sieht aus wie der Geiger David Garrett. Er hat eine schöne Stimme, die warm und weich ist, man hört ihm gerne zu. Sein größtes Talent ist es aber, komplizierte Zusammenhänge in griffige Slogans zu verwandeln. Vor vier Jahren veröffentlichte er in Dänemark ein Buch, das seither in 25 Sprachen übersetzt wurde. Er recherchierte dafür in Kenia, Jamaika, Brasilien und Russland, woher die besten Langstreckenläufer bzw. Sprinter, Fußballer und Tennisspielerinnen stammen. Das Buch heißt „The Goldmine Effect“ und versucht zu erklären, was Talent im Sport ausmacht und welche Faktoren dazu beitragen, dass Spitzenathleten besonders erfolgreich werden. Es ist ein Buch voller kluger Beobachtungen, die aber mitunter in Kalenderweisheiten münden.
Vor gut zwei Jahren lernte Rasmus Ankersen über ein paar Ecken in London einen Engländer kennen, der sich für das Buch interessierte. Matthew Benham gehört der FC Brentford, damals ein Drittligist mit Aufstiegsambitionen. Als Ankersen ihn beim ersten Treffen fragte, wie groß Benham die Aufstiegschancen seines Klubs einschätze, bekam er als Antwort: 42,3 Prozent. „Da wusste ich, dass er anders denkt als die meisten Leute im Fußball“, sagt Ankersen. Denn die Zahl sollte keine Pointe sein, sie war das Ergebnis einer Wahrscheinlichkeitsrechnung.
„Er hat mich gelehrt, Fußball anders zu sehen“
Benham und Ankersen mochten sich auf Anhieb. Der Däne erklärte dem Engländer den Fußball aus der Sicht eines Mannes, der selber gespielt hatte und Trainer gewesen war. Der Engländer verblüffte den Dänen mit einer Fülle von Ideen zum Fußball, die sich aus mathematisch-statistischen Berechnungen ergaben. „Er hat mich gelehrt, Fußball anders zu sehen“, sagt Ankersen. Mit seinem Unternehmen Smartodds wettet Benham seit mehr als zehn Jahren professionell auf Fußballspiele. Das mathematische Modell, das diesen Wetten zugrunde liegt, hat ihn reich gemacht. 2010 erwarb er die Mehrheit beim FC Brentford, einem Klub im Londoner Südwesten, dessen Fan er schon als Kind war. Nach zuverlässigen Schätzungen hat er dort insgesamt 50 Millionen Euro investiert.
Anfang letzten Jahres erzählte er Ankersen, dass er gerne noch einen ausländischen Klub kaufen wolle. Benham hatte einen belgischen Verein im Blick, aber Ankersen fädelte den Kontakt zu seinem alten Klub ein, der damals in wirtschaftlichen Nöten war. Im Juli 2014 war der Deal perfekt, Benham hielt nun die Dreiviertel-Mehrheit am FC Midtjylland und setzte Ankersen als Vereinsboss ein. Seine einzige Bedingung: Der Klub sollte offen für die ganzen Ideen seines neuen Besitzers sein. Beim FC Brentford, im konservativen englischen Fußball, war Benham damit meist vor Wände gelaufen.
Die Tabelle lügt
Man muss nach London fahren, um zu verstehen, dass es sich bei diesen Ideen nicht um die Spleens eines reichen Mannes handelt, der seine Fußballträume ausleben will. Benham, 47, redet schnell und lässt dabei die Pizza kalt werden, die im Restaurant auf dem Teller liegt. Oft schiebt er ein „yo“ in die Sätze ein, als würde er sich vergewissern wollen, ob der Zuhörer ihm noch folgt. Das ist verständlich, denn Benham hat einen radikal anderen Blick auf Fußball.
Eine der ewigen Wahrheiten des Fußballs heißt: Die Tabelle lügt nicht. Das soll sagen, dass am Ende einer Saison letztlich jeder das bekommt, was er verdient. Weil sich Glück und Pech ausgleichen, die Pfostenschüsse am eigenen und gegnerischen Tor, die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, gute und schlechte Tage. Die meisten Spieler, Trainer, Manager, Vereinsbosse und natürlich Fußballfans glauben fest daran.