H&M verkauft jetzt Fußballtrikots – also keine von einem echten Verein, sondern vom „Lover’s FC“, einem Modelabel. Ist das noch Sportklamotte oder schlicht Designobjekt? Anmerkungen zu einem Gegenwartsphänomen.
Es ist noch nicht allzu lange her, da stellten sich viele Menschen folgende Frage: Warum tragen NBA-Basketballspieler alte Sportklamotten des VfL Bochum? Es war Gary Trent Jr. von den Portland Trail Blazers, der sich vor einer Partie im Torwarttrikot der Bochumer aus der Saison 1997/98 zeigte; einem Shirt, das sich durch das markante Regenbogendesign sowie den Faber-Sponsorenzug auszeichnet. Dass derlei Looks – einst als trashig abgetan – Einzug in den ansonsten von hochpreisiger Streetwear geprägten Kleiderschrank von Sportstars finden, war nicht direkt zu erwarten.
Waren es früher oft nur kleine, schlichte Aspekte, die neue Trikots von älteren Designs übernahmen, geht der Trend aktuell zum offensichtlichen Retrodesign. Wenig dezent erinnert etwa das von Pharrell Williams designte Bayern-Trikot aus der Saison 2020/21 an das Heimshirt aus den Spielzeiten 1991 bis 1993. Auch das kürzlich veröffentlichte BVB-Sondershirt war sehr stark angelehnt an das Trikot aus den sehr erfolgreichen Dortmunder Zeiten Mitte der 1990er. Dass diese Looks gefragt sind, zeigt vor allem eines: Ein Trikotdesign muss nicht zwingend neu und bahnbrechend sein, um erfolgreich zu werden. Retro-Looks vermitteln ein Lebensgefühl, etwas Vergangenes, das in die Gegenwart mitgenommen wird. Bei Online-Marktplätzen wie eBay zahlen Sammler für Originalteile aus den 90ern viel Geld. 2020 merkte Fons Hickmann, Professor für Grafikdesign an der UdK in Berlin im Interview mit dem österreichischen Fußballmagazin ballesterer an: „Kein Trikot ist frei von retro“. Der Retro-Trend bei Fußballshirt funktioniert, quasi wie eines dieser aufgewärmten Electro-Cover von 90er-Hits.
Bei den Retro-Jerseys, die, wie im Falle des Dortmund-Trikots, oft nur selten (einmal) zum tatsächlichen Einsatz im sportlichen Wettbewerb kommen, geht es wohl eher um das modische Statement. In eine ähnliche Richtung gehen Entwicklungen im Design von Vereinswappen. Prominentestes Beispiel ist dabei sicher Juventus Turin, deren ikonographisches, schwarz-weißes Wappen 2018 einem schlichten Schriftzug weichen musste, der ein „J“ zeigte. Ein Wappen im eigentlichen Sinne stellt das auch nicht mehr da. Es wirkt eher wie ein Markenlogo – und unterscheidet sich somit auch nur bedingt von solchen, die in der Modebranche üblich sind. Womit wir auch schon wieder bei „Lover’s FC“ wären.
Angesichts besagter H&M‑Kollektion scheint das Trikot nun endgültig vom Sportkontext entkoppelt; der Einzug in die Streetwear-Landschaft quasi abgeschlossen. Schließlich sind die Teile, die man beim schwedischen Modehaus kaufen kann, kein schlichtes Fanshirt vom Discounter-Wühltisch, sondern werden präsentiert wie ein Designobjekt. Wichtig ist vor allem eins: Kontext. Und im Kontext eines Fußballplatzes ist ein Trikot natürlich immer noch hauptsächlich Sportbekleidung. Eher ist es so, dass die Dimension Streetwear lange nicht vorhanden, inzwischen aber umso präsenter ist. Und das wissen Ausstatter und Vereine, Modelabels und ‑häuser.
Dass sich das Design in den letzten Jahren mehr an modischen Schnitten und Looks orientiert hat, ist eine logische Folge. Eine Kollektion bei einem Modehaus, die sich nun komplett vom Vereinsgedanken löst, ist somit eigentlich nur konsequent. Kein Sport ist in der breiten Gesellschaft so präsent wie Fußball, kein Sport spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen so wider. Das Trikotdesign hat sich ja in den letzten Jahren ohnehin sehr geändert und viele Käufer werten Teamlogos scheinbar eher als Marken, von daher ist es ja vermutlich auch schon wieder egal, ob dort nun Juventus oder „Lover’s FC“ draufsteht.
Etwas Gutes hat die ganze „Lover’s FC“-Chose aber – und das lässt sich wunderbar anhand von einem alten Zitat illustrieren: „Ich würde keinem Klub angehören wollen, der mich als Mitglied aufnimmt“. Dieser Gedanke – er wird dem berühmten Komiker Groucho Marx zugeschrieben – erübrigt sich beim „Lover’s FC“ alleine schon deshalb, da man gar nicht Mitglied werden kann. Somit läuft man hier auch gar nicht erst Gefahr, einem Klub seine Treue zu schwören, mit dem man sich nicht wohl fühlt oder der vielleicht mal von irgendeinem dubiosen Investor übernommen wird. „Lover’s FC“ bleibt eine Marke, eine sprichwörtliche Modeerscheinung, die irgendwann wieder vergeht. Vielleicht ja schon bevor der nächste Retrotrend kommt.