H&M verkauft jetzt Fußballtrikots – also keine von einem echten Verein, sondern vom „Lover’s FC“, einem Modelabel. Ist das noch Sportklamotte oder schlicht Designobjekt? Anmerkungen zu einem Gegenwartsphänomen.
Es gibt diesen urbanen Mythos von jungen Menschen, die in einem Bandshirt, sagen wir mit dem Logo von Metallica, eine Straße entlanglaufen. Bis irgendwann ein Passant konfrontierend nachfragt, ob man denn überhaupt drei Lieder dieser Gruppe aufzählen könne. Seinen Ursprung hat diese Story, die so oder so ähnlich sicher täglich passieren dürfte, in einem Bandshirt-Boom, der vor allem Ende der 00er und Anfang der 10er Jahre auftrat. Insbesondere Versandhäuser und Streetwear-Geschäfte nahmen in dieser Zeit verstärkt derlei Shirts mit großen Aufdrucken von Rock‑, Metal- oder Grungebands ins Sortiment, die in einigen Fällen vermutlich eher aufgrund des auffälligen Prints und weniger aus einer Identifikation mit der Band heraus gekauft worden sein dürften.
So ganz kann man das Bandshirt natürlich nicht mit dem Fußballtrikot vergleichen und jemand, der sich aktiv für ein PSG-Jersey entscheidet, wird sich alleine schon aufgrund des gravierenden Unterschieds im Ankaufpreis informiert haben, wer Neymar und Mbappé sind. Eine Parallele haben die beiden Kleidungsstücke dann aber doch: Modetrends emanzipieren sich mit der Zeit von ihrem Ursprung. Womit wir auch schon beim Fußballtrikot wären, das nicht mehr bloß Sportbekleidung, sondern Modestatement geworden ist.
Diese Entwicklung findet ihren zwischenzeitlichen Gipfel in einer Kollektion, die es seit Kurzem beim Modehaus H&M zu kaufen gibt. Es ist eine Kooperation mit dem britischen Label „Lover’s FC“, das vom Fußballfan Neal Heard gegründet wurde. Heard ist ausgewiesener Experte für Fußballshirts; vor wenigen Jahren schrieb er ein Buch über „Fußballtrikots“, das auch in deutscher Sprache erschien.
Im Rahmen seiner Kollektion fürs schwedische Modehaus gibt es mitunter Folgendes zu kaufen: Diverse Kurz- und Langarmtrikots mit großer „Lover’s FC“-Aufschrift, einem ausgedachten Logo mit den Initialen „LFC“ und verschiedenen Farb- und Musterdesigns. Eines der Trikots ist etwa schwarz-weiß-gestreift, wirkt sehr 90er und erinnert somit an das Juventus-Shirt, in dem Legenden wie Zidane und Del Piero spielten, gleichzeitig aber auch an das Newcastle-United-Trikot, in dem Alan Shearer mehrfach Torschützenkönig der Premier League wurde. Eines seiner Designs zeigt sogar einen Zick-Zack-Brustring in den deutschen Landesfarben – also quasi ein „Lover’s FC“-Nationaltrikot.
Heards Designs für H&M seien eine „Hommage an das Fußballtrikot“, heißt es auf der Firmenwebsite. Inspirieren ließ er sich „von den späten 80ern und frühen 90ern“, wobei er vor allem „mit auffälligen Farben und Grafiken“ arbeitete. Heard designte auch schon Trikots für echte Fußballteams, etwa die des walisischen Vereins Newport County AFC aus der Saison 2019/20.
Zu sagen, dass den Menschen die Identifikation mit einem Verein nicht mehr wichtig wäre, dürfte so nicht stimmen. Schließlich gibt es genügend Leute, die sich Wappen tätowieren lassen oder gar Toaster kaufen, die das Vereinslogo in die Brotscheibe brennen und dabei noch die vereinseigene Hymne anstimmen. Auch Trikots dürften sich die meisten immer noch aus Zuneigung zum Herzensklub zulegen. Aber das ist eben nur ein Teil der Käuferschaft. Ein weiterer Absatzmarkt scheinen nämlich diejenigen geworden zu sein, die sich ein Trikot zulegen, um es dann gar nicht im Stadion, sondern auf der Straße zur Schau zu tragen.
Für diese ist ein Trikot vermutlich eher ein Fashion-Statement, eine Ansage im Sinne von: Mir gefällt das Design und irgendwie auch das, was dieser Klub ausstrahlt. In dem meisten Fällen dürfte das deren Erfolg sein, was man beispielsweise daran erkennt, dass das Trikot des FC Bayern München in den letzten Jahren auch international konstant unter den Topsellern zu finden war: 2016 lag der FC Bayern im Vergleich der weltweit verkauften Trikots noch auf dem fünften Rang. Für die Saison 2018/19 schaffte es Bayern dann sogar auf den dritten Platz – und auf 2,575 Millionen weltweit verkaufte Shirts. Nur Manchester United und Real Madrid verkauften in dieser Spielzeit mehr Fußballtrikots.
Aber auch die Zuneigung zu einer Stadt spielt eine Rolle. Paris hat einen großen internationalen Appeal, der Verein PSG steht für eine besondere Form von Aufstieg, vor allem den aus sozialen Brennpunkten wie den Banlieues. Besonders stark wird diese Story durch den Spieler Kylian Mbappé verkörpert, der aus dem Pariser Vorort Bondy stammt und es von dort zur tragenden Figur bei PSG und der Équipe Tricolore geschafft hat. Die eigene Street-Credibility untermauert PSG – oder besser gesagt der Ausrüster Nike – seit einigen Jahren, indem manche Jerseys des Klubs mit dem Logo von Air Jordan versehen werden, einer beliebten Tochtermarke von Nike. Modisch war PSG jedenfalls schon immer vorne dabei, schließlich war der Stardesigner Daniel Hechter einst Präsident des Vereins, wenige Jahre nach dessen Gründung in den 1970ern.