Neymar wollte weg, musste bleiben und spielt wieder für Paris Saint-Germain. Die Fans macht das wütend. Warum davon am Ende aber alle profitieren.
Wenn der liebe Gott Langeweile hat, so heißt es, öffnet er sich ein Fenster und schaut auf Paris. Diese Stadt, die alles hat und alles ist, auch „unserer aller Heimat“, wie Kurt Tucholsky einst befand.
Auch die von Neymar da Silva Santos Júnior, dem Star der Stars bei Paris Saint-Germain. Eine Attraktion, die zuletzt alles dafür getan hatte, dass der liebe Gott seinen Spaß hatte, wenn er auf die französische Hauptstadt schaute.
Und der immer noch da ist, also Neymar, obwohl er doch unbedingt weg wollte. Zurück nach Barcelona, dort, wo er sich heimisch und geliebt und verstanden fühlte. Und der bleiben musste, weil angesichts des zum Irrsinn verkommenen Transfermarkts selbst den Fantasten die Fantasie (und das Geld) ausging. (Woher die Sehnsucht zur Rückkehr rührte und was alles schief lief, lest ihr hier »>)
Misthaufen und Urologen
Am vergangenen Wochenende nun durfte er wieder das tun, was er am besten kann. Was er so gut kann, wie vielleicht nur noch eine handvoll Menschen auf dieser Welt – Fußball spielen. Daheim gegen Racing Straßburg, den 17. der französischen Ligue 1. Die Zuschauer im Prinzenpark dankten es ihm mit einem gellenden Pfeifkonzert und deftigen Plakaten. Wie schon in den Wochen zuvor, als Neymars Abgang noch möglich schien, empfahlen sie ihm Allerlei. Mit Fußball hatte das wenig zu tun, eher mit dringenden Hinweisen, sich Urologen und Zuhältern zuzuwenden.
Nun ist die Protestkultur in Frankreich generell „autre chose“ und das nicht erst seit den „Gilets jaunes“, der teils zerstörerischen Gelbwestenbewegung der vergangenen Jahre. Da kübeln Bauern Misthaufen auf Straßen, Tankstellen und sonstige mistfremde Orte, legen streikende Arbeiter nicht nur die Arbeit nieder sondern gleich noch ihre Produktionsstätten in Schutt und Asche. Im Gegensatz dazu nehmen sich so ein paar Plakate und Pfiffe fast schon zivilisiert aus.
Sensibler Junge
Zumal sich hinterher alle Beteiligten beeilten, Verständnis aufzubringen. So wie Trainer Thomas Tuchel, der sagte: „Es war nicht einfach für ihn, denn er ist ein sehr sensibler Junge. Aber es war in der Transferperiode auch nicht einfach für die Fans, deshalb müssen wir ihre Reaktionen akzeptieren.“ Und der sensible Junge? Sprach ebenfalls: „Für mich war es ruhig. Ich weiß, was diesen Sommer passiert ist und ich verstehe, dass es schwierig für die Fans ist. Wenn sie mich auspfeifen wollen, ist das ihr gutes Recht, aber von nun an bin ich ein Spieler von Paris und ich wiederhole, dass es keine Probleme gibt.“
Womit er Recht haben könnte, denn das mit den Pfiffen erledigte sich alsbald. Spätestens nach dem spektakulären 1:0‑Siegtreffer in der Nachspielzeit, einem Seitfallrückzieher, der als Videoinstallation auf Solo-Tour gehen könnte, waren sie gänzlich verstummt. Aus vereinzelten Mündern waren sogar schon wieder Sprechchöre zu Neymars Ehren zu vernehmen.
Paris war schon immer Sehnsucht
Hass ist eben auch nur die Kehrseite von Liebe. Und streng genommen pfiffen sich die Zuschauer selbst aus.
Denn PSG, das war schon immer Sehnsucht. Gegründet erst 1970, auf Initiative von Pariser Persönlichkeiten, die nicht länger erdulden wollten, dass ihre Weltstadt im Weltsport Fußball keine Rolle spielte. Daran hat sich bis heute wenig geändert und auch sonst ist vieles wie zu Beginn, nur dass der Mäzen nicht mehr Modeschöpfer Daniel Hechter heißt, sondern Qatar Sports Investments.
Vorteil Paris?
Die unter anderem Edinson Cavani, Kylian Mbappé und schließlich Neymar holten, für 222 Millionen Euro. Eine Weltrekordsumme für einen Weltklub. Dass Neymar die Stadt und den Klub nun wieder verlassen wollte, ehe er mit dem Champions-League-Pokal über die Champs-Élysées stolziert war, passte so gar nicht zum Pariser Selbstverständnis. Dabei kann der offen zur Schau gestellte Unmut über den eigenen Starspieler am Ende noch sein Gutes haben.
Da wären die Anhänger und die Oberen des Klubs. Die gelernt haben, dass Geld zwar viele Tore schießt und Titel gewinnt, aber eben auch nicht alle oder zumindest nicht den begehrtesten. Die nun aber neu lernen mussten, dass all das Geld nicht einmal davor schützt, dass ihr bester Spieler nicht weiter für sie auflaufen wollte. Eine demütigende Erfahrung, die sich als wertvoll erweisen könnte, wenn aus einer übersteigerten Erwartung des „Nun macht mal“ ein „Wir schaffen das“ wird, eine zugegeben spezielle Form des Underdogs, der es allen zeigt.
Und dann ist da noch Neymar selbst, der auf und abseits des Rasens zur Übertreibung und Selbstdarstellung neigen mag. Der wie ein ewig trotziges Kind wirkt, doch wenn es darauf ankommt und es nichts mehr gibt, wofür es zu streiken lohnt, wenn es nur noch darum geht, in 90 Minuten auf dem Rasen für Klarheit zu sorgen, kommen sie durch, seine beiden engsten Freunde, der Spieltrieb und der Ehrgeiz. Und was für ein Triumph es wäre, würde er PSG nun doch noch zum ersehnten Sieg in der Champions League führen.
Und die Zeichen stehen unverändert gut. Nicht nur Neymar wurde gehalten, sondern überhaupt alle Leistungsträger. Ganz nebenbei ließ sich in jedem einzelnen Mannschaftsteil die Kadertiefe noch verstärken. Sie würgte sich zwar mehr durch die ersten fünf Spieltage der französischen Liga, auch, weil die halbe Stammelf (Mbappé, Cavani, Marquinhos, Kehrer, Draxler) verletzt ausfiel, und dennoch ist sie längst wieder Tabellenführer.
Die Kabine steht hinter ihm
Auch wegen Neymar und seinem Wundertor in der Nachspielzeit. Die Kabine, so heißt es, steht hinter ihm. Und auch Sportdirektor Leonardo sagt trotz aller Sommer-Sorgen: „Er hatte eine gute Kommunikation, ehrlich, direkt, bescheiden. Er konzentriert sich sehr auf PSG“.
Neymar selbst sagt: „Ich werde auf dem Platz alles geben, das ist mein Job.“ Und auch wenn er noch für zwei Champions-League-Spiele gesperrt ist – man darf das durchaus als Drohung verstehen.