Der Besitzer von Leicester City, Vichai Srivaddhanaprabha, ist bei einem Hubschrauberunglück ums Leben gekommen. Ein Nachruf.
Leicester liegt in den englischen East Midlands wie das eigene Klischee. Die Stadt hat etwa 300.000 Einwohner, in der Innenstadt zieren die üblichen Einzelhandelsketten eine überschaubare Fußgängerzone, es gibt eine Handvoll mehr oder weniger sehenswerte Sehenswürdigkeiten und auch ansonsten ist diese kleine, graue Stadt irgendwo im Nirgendwo ganz und gar durchschnittlich.
Im April 2016 aber war Leicester elektrisch. Die Menschen im grauen, regnerischen Frühjahr, das in den East Midlands ja doch nur ein verkappter Herbst ist, begegneten einander mit einer außergewöhnlichen Herzlichkeit und kaum noch zu verbergender Euphorie. Etwas lag in der Luft, die Menschen schwankten zwischen Aufregung, Freude und Ungläubigkeit, der vorherrschende Gemütszustand der Einwohner schien das Sich-kneifen-Wollen zu sein. Denn es bahnte sich an, was wenige Wochen später tatsächlich eintrat: Leicester City, der Fußballklub der Stadt und wie ebendiese ähnlich durchschnittlich und unscheinbar, würde tatsächlich die Meisterschaft gewinnen.
Das größte aller Fußballwunder
An diesem, man kann es nicht anders nennen, größten aller Fußballwunder, hatten diverse Menschen ihren Anteil. Der charmant-verschrobene Trainer Claudio Ranieri, der Chefscout Steve Walsh und all die anderswo verkannten Spieler, die er nach Leicester geholt hatte. Und Besitzer Vichai Srivaddhanaprabha.
Srivaddhanaprabha hatte Leicester City 2010 übernommen und relativ schnell angekündigt, unter die ersten Fünf der Liga zu wollen. Derlei Maulheldentum kennt man von der Insel, deren Fußballlandschaft ja leider Gottes von windigen Besitzern geplagt ist; Insolvenzen hier, Fanproteste dort, Heuschreckenkapitalisten, die Vereine als Investitionsmöglichkeit sehen. Mit Vichai Srivaddhanaprabha jedoch verhielt es sich anders. In Leicester, weder in der Stadt noch im Verein, hätte man je ein böses Wort über ihn gehört.
„Unter seiner Führung war Leicester City eine Familie“
Dass das nur zur Hälfte am sensationellen Erfolg von 2016 liegt, sagt eine Menge aus. Wo anderswo Vereine und ihre Fans über den Besitzverhältnissen auseinanderdriften, verstand es Srivaddhanaprabha, den Verein zu einen. Er hatte stets ein offenes Ohr für Spieler und Mitarbeiter, auch zu den Fans verband ihn ein herzliches Verhältnis. In der Stellungnahme des Vereins, die nach dem Hubrschrauberungück veröffentlicht wurde, hieß es: „Unter seiner Führung war Leicester City eine Familie“. Wo andere Klubbosse nur das Tagesgeschäft im Blick haben, blickte Srivaddhanaprabha stets auch über den Tellerrand und wirkte positiv in die Gesellschaft Leicesters, spendete Millionen an das Kinderkrankenhaus oder die Universität. An seinem Geburtstag gab es im Stadion Freibier und Kuchen. An einer Gedenkstätte für verstorbene Fans unweit des Stadions standen auf sein Geheiß stets eine Flasche Whiskey und Gläser, damit die Besucher auf ihre verstorbenen Angehörigen anstoßen können. Auch weil er Verein und Stadt mit offenen Armen begegnete, taten Verein und Stadt ihm das gleich.
Torwart Kasper Schmeichel, der als einer der ersten an der Unfallstelle war und bis tief in die Nacht im Stadion blieb, schrieb in einem langen Instagram-Post: „Ich bin noch nie einem Mann wie Ihnen begegnet. Sie haben jeden berührt. Sie haben den Fußball verändert. Für immer!“ Für den märchenhaften Titel 2016 ist Vichai Srivaddhanaprabha in die Geschichtsbücher des Fußballs eingegangen. Er wird aber für viel mehr in Erinnerung bleiben. Srivaddhanaprabha wurde 60 Jahre alt.