Wolfgang Holoch, erinnern Sie sich noch an den 4. Oktober 1975?
Ja, natürlich. Da fällt mir sofort das Derby ein, Stuttgarter Kickers gegen den VfB. Wir haben damals mit 2:0 gewonnen.
Das Spiel war das erste Aufeinandertreffen zwischen den Kickers und dem VfB in einem Pflichtspiel seit 16 Jahren. Waren die Anhänger besonders heiß auf dieses Derby oder hatte die Rivalität in einer solch langen Zeitspanne nachgelassen?
Nein, das war schon etwas Besonderes. Wir haben ja eigentlich jedes Jahr zur Saisoneröffnung ein Freundschaftsspiel ausgespielt, das heißt, es gab fast immer so etwas wie ein Saisonauftaktspiel Kickers gegen den VfB oder umgekehrt. Insofern haben wir eigentlich häufig gegeneinander gespielt, aber nie um Punkte.
Im damaligen Spielbericht im „kicker“ wird der VfB als „großer Bruder“ bezeichnet. Kam das dem Verhältnis in der Realität nahe?
Naja, bei uns Spielern war es schon so, dass wir gute Kontakte zu den VfB-Spielern hatten, da gab es eigentlich keine Ressentiments. In der Anhängerschaft gab es aber schon eine gewisse Rivalität, auch wenn es keine Ausschreitungen oder ähnliches gab. Natürlich war dieser Sieg im Derby gerade für die Anhänger der Stuttgarter Kickers etwas Besonderes. Da haben die schon ganz ordentlich gefeiert. Das Spiel fand damals während der Volksfestzeit in Stuttgart statt und beide Teams gingen nach dem Spiel rüber auf den Festplatz. Da hatten wir natürlich deutlich mehr zu feiern als der VfB.
Haben Sie damals auch mit Spielern des VfB angestoßen?
Ich kann mich an Gerhard Mayer-Vorfelder erinnern, das war Zufall, wir sind damals zusammen ins Festzelt. Er hatte frisch nach dem Abstieg die Präsidentschaft übernommen und da hab ich mir noch gedacht: Oh, der arme Kerl, der muss sich einiges anhören. Die Rufe der VfB-Anhänger waren jedenfalls nicht ganz freundlich.
Was riefen die Anhänger?
Das weiß ich nicht mehr. Ich dachte nur: Mann, bin ich froh, dass wir heute gewonnen haben. Sonst hätten wir diese Äußerungen abbekommen. Für den VfB war es schon heftig, das erste Spiel um Punkte seit langem gegen die Kickers zu verlieren.
Sie selbst haben in der Jugend des VfB gespielt, bevor Sie für die Kickers in der 2. Bundesliga spielten. Blau gegen Rot – war das früher für Sie eine Glaubensfrage?
Nein, es war eigentlich kein Thema. Ich bin im Stuttgarter Osten aufgewachsen, relativ nahe zum Stadion des VfB, insofern war es klar, dass ich in der Jugend dort spiele. Und das habe ich auch gerne gemacht. Später hat es mich dann zu den Kickers verschlagen, da hab ich dann auch sehr gerne gespielt. Insofern war das Spiel gegen den VfB für mich sehr besonders. Ich hab ja immer Kontakt nach dort unten, nach Cannstatt, gehabt. (lacht) Es gab damals sogar Fans von den Kickers, die sind nie über den Neckar rübergefahren, weil sie dann im VfB-Revier waren.
Sie haben damals den Führungstreffer erzielt. Können Sie sich noch an Ihr Tor erinnern?
Na klar! Es gab damals einen Freistoß, geschlagen von Horst Haug…
…der vorher ja auch lange Jahre beim VfB gespielt hatte.
Ja, genau, er war ursprünglich auch ein Kickers-Spieler, ging lange Zeit zum VfB und kam dann wieder zurück. Also, der Freistoß kam von ihm, der Torwart ließ den Ball nur abprallen und ich staubte ab – Instinkt. Das 1:0, kurz vor der Halbzeit.
Rudi Kröner, Ihr damaliger Trainer, drohte nach dem Spiel: „Nächstes Jahr sind wir in Stuttgart die Nummer Eins!“
Das war zu weit vorgegriffen. Die Stuttgarter Kickers haben diesen Zug damals eigentlich verpasst. Ich glaube, es wäre möglich gewesen, in dieser Zeit, wo wir ja auch mit vorne standen, die Chance zu nutzen. Aber der Verein war entweder finanziell nicht in der Lage oder nicht willens, die entsprechenden Investitionen zu tätigen, um dann ganz nach vorne zu kommen. So war dann ein Jahr später, als der Jürgen Sundermann als Trainer zum VfB kam, der VfB wieder an der Reihe.
Nach dem letzten Derby im März 2009, dass in Erinnerung an den im Jahr 2004 verstorbenen langjährigen Präsidenten der Kickers Axel-Dünnwald Metzler ausgetragen wurde, sagte dessen Nachfolger Dirk Eichelbaum nach dem Spiel: „Die Tragik in der Historie der Kickers ist, dass die größten Erfolge des VfB von Misserfolgen der Kickers begleitet werden. 1989 stiegen wir zum Beispiel aus der Bundesliga ab, der VfB feierte ein rauschendes Uefa-Cup-Finale gegen den SSC Neapel mit Diego Maradona.“
Vieles hat sich da natürlich im Bereich der Anhängerschaft verfestigt. Insgesamt muss man sagen, dass die beiden langjährigen Präsidenten Axel Dünnwald-Metzler und Gerhard Mayer-Vorfelder bestens miteinander auskamen. Man muss ja auch sehen, dass beim VfB viele ehemalige Spieler der Kickers waren, ich persönlich habe zum Beispiel noch mit dem Karl Allgöwer zusammen gespielt, der nachher dann beim VfB war.
Jürgen Klinsmann ging runter, auch Guido Buchwald – also nicht die Schlechtesten.
Gibt es heutzutage überhaupt noch eine Art Rivalität zwischen den Vereinen?
Ich denke nichtm dafür sind beide Vereine einfach zu weit auseinander. Selbst die zweite Mannschaft vom VfB spielt ja im Moment eine Klasse höher, als die Kickers.
Die Begegnung 1975 ist bis heute der letzte Triumph der Kickers über den VfB in einem Pflichtspiel. Wird in Degerloch noch über diesen Tag gesprochen?
Ich hör manchmal noch Geschichten von Zuschauern, die damals dabei waren, doch die sind in den meisten Fällen natürlich auch schon in einem bestimmten Alter. Das erste Spiel nach so vielen Jahren, in dem es wieder um Punkte ging und das haben die Kickers gewonnen. Aber wissen Sie: Im Fußball ist das Spiel der vorvergangenen Woche ja schon längst veraltet.