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Mit sieben war ich Hansa-Fan durch und durch: Wenn wir am Wochen­ende am War­ne­münder Strand lagen, mussten wir kurz bevor ran“ kam nach Hause radeln, weil ich wissen wollte, wie Ros­tock gespielt hatte, mein Taschen­geld gab ich haupt­säch­lich für Auto­gramm­karten und Panini-Bild­chen aus und lief gerade kein Spiel im Fern­sehen, ging ich mit meinen Kum­pels Tom, Dennis und Olli in unserem Plat­ten­bau­viertel bolzen.

Olli war ein beson­ders fana­ti­scher Hana-Fan: schon im Kin­der­garten malte er immer nur Bilder mit kleinen blauen Schiffen – der Hansa-Kogge. Von unserer Woh­nung aus konnte ich auf Ollis Balkon gucken. Es war ein biss­chen so wie bei den Kin­dern von Bul­lerbü, denn ständig rief er mich an, ich sollte ans Fenster kommen, damit er mir seine neu­be­malten Bett­laken mit Hans­a­sprü­chen zuwe­deln konnte. Jedes Wochen­ende ging Olli mit seinem Vater ins Sta­dion. Das wollte ich auch! Des­halb nahm sich meine Muddi ein Herz und mich an die Hand und so fanden wir uns beide an einem warmen Juni-Sonntag in der Ost­kurve des Ost­see­sta­dions wieder.

Ich sah nichts und roch nach Bier

Es war das letzte Heim­spiel der Zweit­liga-Saison, Hansa spielte als Tabel­len­erster gegen Han­nover 96 – der Auf­stieg war schon am Wochen­ende zuvor gegen Wat­ten­scheid besie­gelt worden, nur gefeiert hatte ihn die Han­se­stadt noch nicht. Ich war eupho­ri­siert: Fleißig hatte ich vorher die neue Hanse-Hymne der Puhdys aus­wendig gelernt und grölte sie nun mit all den Ros­to­cker Pils“-seligen Män­nern mit: FC Hansa, du bist so genial, FC Hansa, wir lieben dich total. Auch wenn du mal dane­ben­schießt, wir sind für dich da. FC Hansa, FC Hansa!“.

Unter meinem zur Mütze gerollten Ros­tock-Schal lugte ich hervor und sah erstmal nichts. Vor, hinter und neben meiner Mutti und mir standen tau­sende Men­schen. Das Ost­see­sta­dion war aus­ver­kauft, 25.600 Fans waren gekommen, um Hansa siegen zu sehen. Bevor ich das Spiel aller­dings sehen konnte, roch ich etwas – jemand hatte von hinten Bier nach vorne geworfen, das sich nun über meinen Pull­over ergoss. Meine Freude war dahin: Ich sah nichts, stank nach Alkohol und alle waren größer als ich. Irgendwie hatte Olli das spa­ßiger erzählt. Ein Mann, der mit seinen älteren Söhnen eben­falls da war, bemerkte mein Unglück und nahm mich kur­zer­hand beide Halb­zeiten auf seine Schul­tern.

Ich war wieder froh und kam so schon mit sieben Jahren zu meiner ersten Fuß­ball-Live-Repor­tage, als ich meiner Mutter vom Rücken herab aktu­elle Spiel­stände durchgab: 1:0 Rocco Milde in der 40. Minute, 2:0 Steffen Baum­gart in der 52. Minute, und schließ­lich das 3:0 in der 86. Minute durch Stefan Bein­lich (hier im Bild nach seinem Treffer). Paule“ Bein­lich war der Lieb­ling aller Fans. Ganz Ros­tock weiß heute noch, wo er wohnt und wann er mit seinem Hund spa­zieren geht.

Als der Schluss­pfiff ertönte, brach im Ost­see­sta­dion – diesem Sta­dion damals noch mit Lauf­bahn und rie­sigen hell­blauen Flut­licht­masten mitten in der Han­se­stadt – tosender Jubel los. Bei­fall, den noch die Tou­risten am War­ne­münder Strand gehört haben sollen. Es war eine Atmo­sphäre, wie ich sie in den kom­menden Jahren nur noch einmal auf den Fan­meilen bei der WM 2006 in Deutsch­land wieder erlebt habe. Plötz­lich war die ganze Han­se­stadt stolz auf ihren weiß­blauen Verein. Ros­to­cker waren stolz Ros­to­cker zu sein. Und ich hockte mit­ten­drin immer noch auf den Schul­tern des Vaters, der mich trug und war elek­tri­siert. Wir sind in der ersten Bun­des­liga, wir sind erste Liga!“, schrie ich und klet­terte zu meiner Mutter hin­unter.

Blaue Zäune und rote Ben­galos

Auf einmal wurde der Steh- zum Renn­block. Fans eilten über die Wel­len­bre­cher den grauen Sta­di­on­beton hin­unter. Die Hansa-blauen Absperr­gitter wurden über­rannt oder auf­ge­stoßen. Es war ein irres Durch­ein­ander, in dem alle mög­lichst schnell aufs Spiel­feld wollten, um zusammen mit den Spie­lern, von denen selbst die meisten von der Ostsee kamen, zu feiern. Ich wollte rest­liche Auto­gramme ein­sam­meln, rannte ein­fach mit und verlor dabei meine Mutter. Schnell fand ich mich vor den umge­tre­tenen Zäunen wieder und staunte. Dahinter fackelten rote Ben­galos und tau­sende Schals und Fahnen wippten in der Luft zu den Schla­ger­reimen der Puhdys. Die Sze­nerie machte mir Angst und so lief ich statt auf den Rasen zu einem rie­sen­haften Ordner in schwarzer Uni­form.

Ich sagte ihm wie ich heiße und das meine Mutti so ähn­lich aus­sieht wie ich nur älter. Er lächelte und wieder wurde ich auf die Schulter genommen. Wäh­rend wir uns ent­gegen der Masse Rich­tung Aus­gang schoben, sangen wir leise zusammen die Hymne, damit ich mich beru­higte: FC Hansa, du bist so genial, FC Hansa, wir lieben dich total. Auch wenn du mal dane­ben­schießt, wir sind für dich da. FC Hansa, FC Hansa!“ immer und immer wieder. Als ich mit dem Secu­rity-Mann am Aus­gang ankam, sah ich dort schon meine Mutter stehen. Über­glück­lich rutschte ich das zweite Mal an diesem Tag von hohen Schul­tern und ging mit ihr, immer noch die Puhdys sum­mend, nach Hause.