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Denkt man fast zwei Jahr­zehnte später an Borussia Dort­munds Cham­pions-League-Tri­umph von 1997 zurück, fallen einem zuerst die Stars ein. Helden wie Karl-Heinz Riedle, dem im End­spiel gegen Juventus zwei Tore gelangen, oder Jürgen Kohler, der beim Halb­fi­nale in Man­chester zum Fuß­ball­gott“ wurde, als er am Boden lie­gend mit der Fuß­sohle einen Schuss von Eric Can­tona blockte.

Man erin­nert sich an Andreas Möl­lers Steil­pass auf Lars Ricken und das nach­fol­gende Jahr­hun­derttor durch den gebür­tigen Dort­munder, damals gerade 20 Jahre alt. Der große Stra­tege Paolo Sousa fällt einem ein, der im Mit­tel­feld die Fäden zog. Oder Libero Mat­thias Sammer, der bewies, warum er einige Monate zuvor zu Europas Fuß­baller des Jahres gewählt worden war, als er gegen die hoch favo­ri­sierten Turiner seine Abwehr umsichtig orga­ni­sierte.

Männer aus der zweiten Reihe

Aber eigent­lich müsste man zuerst an andere Namen denken. Denn der größte Erfolg der Dort­munder Ver­eins­ge­schichte war vor allem das Ver­dienst der Männer aus der soge­nannten zweiten Reihe. Spieler wie René Tret­schok, der ein ent­schei­dendes Tor gegen Man­chester schoss. Oder Martin Kree, der gegen den­selben Gegner nicht nur wie Kohler einen tod­si­cheren Gegen­treffer ver­hin­derte – son­dern gleich zwei. 

Oder der Öster­rei­cher Wolf­gang Fei­er­singer, der in fast der Hälfte aller Spiele Sammer als Abwehr­chef ver­trat. Oder der vor Sai­son­be­ginn völlig unbe­kannte Schotte Paul Lam­bert, der zum Stamm­spieler sowie Publi­kums­lieb­ling wurde und im Finale das erste Tor vor­be­rei­tete. Er war als ablö­se­freier Ersatz­mann ver­pflichtet worden, trotzdem bezeichnet ihn Hitz­feld heute als einen Königs­transfer“ dieser Spiel­zeit.

Ein ent­schlos­sener Gewalt­marsch

Selbst der Grund, aus dem all diese weniger pro­mi­nenten Profis so ent­schei­dend wurden, ist heute fast ver­gessen: Dort­munds Reise über die euro­päi­schen Spiel­felder war keine tri­um­phale Pro­zes­sion, eher ein ent­schlos­sener Gewalt­marsch. Anders ging es gar nicht, denn die meisten der hoch­ge­lobten und noch höher bezahlten Stars ver­brachten mehr Zeit auf Behand­lungs­liegen als auf Fuß­ball­plätzen.

Beim Spiel in Man­chester zum Bei­spiel fehlten Sammer, Sousa, Julio César, Steffen Freund und der für mehr als vier Mil­lionen Mark gekaufte Natio­nal­spieler René Schneider. Stefan Reuter schließ­lich ging schon nach 24 Minuten ver­letzt vom Platz, wäh­rend Kohler trotz einer Magen-Darm-Grippe durch­halten musste. Kein Wunder, dass das Spiel als große Abwehr­schlacht in die BVB-His­torie ein­ging. 

Das Schlüs­sel­wort jener Saison lau­tete also: schwierig. Es war ein äußerst schwie­riges Jahr“, sagt Hitz­feld und muss heute noch seufzen. Wir waren immer wieder gezwungen zu impro­vi­sieren.“ Hinzu kam, dass einer der wenigen Spieler, die ohne Blessur blieben, ander­weitig für Unruhe sorgte. Kapitän und Klub­le­gende Michael Zorc wurde vom Trainer in der Win­ter­pause langsam, aber nach­drück­lich aufs Alten­teil geschoben, was nicht allen im Verein gefiel, dem Spieler selbst schon gar nicht. Wenn Leis­tungs­träger älter werden“, sagt Hitz­feld, wird es immer schwierig – für den Trainer.“ Heute kann er dar­über lächeln, aber im Früh­jahr 1997 sah man ihm an, unter wel­chem Druck er stand und dass die Belas­tungen ihn aus­zehrten.

Ich trug ihn, weil ich leicht fror.“

Einige Jahre zuvor hatte Hitz­feld unter dem Dort­munder Dau­er­stress einen Darm­durch­bruch erlitten, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Nun, beim Angriff auf Europas Thron, schützte er sich durch einen Panzer. Nun ja, eigent­lich war es ein Trench­coat. Der helle Mantel, den er bei jedem Spiel und zu jeder Jah­res­zeit trug, wurde zum Symbol der Dort­munder Erfolgs­ge­schichte in der Cham­pions League. Ich trug immer einen Mantel, weil ich leicht fror“, sagt Hitz­feld. Es waren ähn­liche Trench­coats, aber in jeder Saison gab es einen neuen. Doch ich war nicht so aber­gläu­bisch, dass ich dar­unter immer das­selbe Hemd oder Sakko ange­habt hätte. Aber­glauben habe ich mir im Laufe meiner Kar­riere abge­wöhnt. Ich habe diesen Mantel ja auch nicht gewech­selt, wenn wir ver­loren.“

In der Liga verlor Borussia als amtie­render Meister neun Spiele. Bis Mitte März stand die Elf noch an der Tabel­len­spitze, dann hielt der aus­ge­dünnte Kader der Dop­pel­be­las­tung nicht mehr stand und die Bayern ent­eilten. Mit jeder Woche wurde nun die Atmo­sphäre in Dort­mund eisiger. Nach einem Unent­schieden gegen Karls­ruhe pol­terte Prä­si­dent Gerd Nie­baum, dass die teure Mann­schaft auf bestem Wege sei, zu einer Durch­schnitts­truppe zu werden“, und sprach ihr sogar den Sie­ges­willen ab.

Das hat mich tief getroffen“

Wahr­schein­lich konnte Ottmar Hitz­feld ver­stehen, warum Nie­baum so gereizt war. Der Trainer wusste durchaus, wie wichtig eine gute Plat­zie­rung in der Liga und damit die neu­er­liche Qua­li­fi­ka­tion für die Cham­pions League war: Schon vor der Saison hatte Vize­prä­si­dent Ernst Breer ihm unmiss­ver­ständ­lich deut­lich gemacht, dass die Elf aus wirt­schaft­li­chen Gründen“ wieder Meister werden müsse. Trotzdem war Hitz­feld – viel­leicht der sen­si­belste und mensch­lichste Trainer, den der Klub je hatte – ent­täuscht von der schlechten Stim­mung im Umfeld, die auch in die Mann­schaft sickerte. Nach dem Ende der Saison sagte er in einem Inter­view mit der Zeit“: Bei uns wurde zu viel über Nie­der­lagen in Duis­burg oder Bie­le­feld und zu wenig über Siege in Madrid, Auxerre und Man­chester gespro­chen. Das hat mich tief getroffen.“ Etwas später ent­schloss er sich, ein Jahr Pause vom Trai­ner­beruf ein­zu­legen.

Mit Madrid“ war übri­gens Atle­tico gemeint, der stärkste Gegner in der Grup­pen­phase. Schon zu diesem frühen Zeit­punkt, im Herbst, ging es beim BVB drunter und drüber. Dr. Hans-Wil­helm Müller-Wohl­fahrt, Mann­schafts­arzt der Natio­nalelf und des FC Bayern, warf seinem Dort­munder Kol­legen Dr. Achim Büscher Fehl­dia­gnosen vor. Dort­mund krankt am Ärz­te­streit“ titelte die Ber­liner Zei­tung“, und der Kicker“ wusste von schwe­lenden Dif­fe­renzen“ zwi­schen Sammer und Hitz­feld. Doch auf dem Rasen war von all dem nichts zu spüren. Die ohne fünf Stamm­kräfte ange­tre­tene Borussia erkämpfte sich in Spa­nien einen 1:0‑Erfolg, der prak­tisch die Qua­li­fi­ka­tion für die nächste Runde bedeu­tete.

Letzt­lich ist nicht immer alles kal­ku­lierbar.“

Es sollte nicht der letzte sein. Denn nach dem 3:1‑Heimsieg gegen Auxerre im Vier­tel­fi­nale – bei dem ein wei­terer Reser­vist, Ibrahim Tanko, ent­schei­dend am beru­hi­genden dritten Treffer betei­ligt war – folgten drei Par­tien am Stück, in denen nur ein Tor fiel, jeweils für den BVB. Am sei­denen Faden hing der Erfolg dabei vor allem gegen eine Elf von Man­chester United, die bald für Furore in Europa sorgen sollte, im April 1997 aber noch zu uner­fahren war. Wir waren unheim­lich kon­zen­triert und über­zeugt von uns“, erin­nert sich Hitz­feld an die Duelle mit dem eng­li­schen Meister. Aber letzt­lich ist nicht immer alles kal­ku­lierbar. Man braucht auch Glück, und wir hatten es. Das Glück des Tüch­tigen.“



Was der große Gen­tleman unter den Trai­nern dabei ver­schweigt, ist seine eigene Rolle in der ganzen Geschichte. Im Laufe dieser Cham­pions-League-Saison musste Hitz­feld viele Ent­schei­dungen treffen, die ihm nicht leicht­fielen: So ent­schloss er sich erst sechs Stunden vor dem Finale, den viel­sei­tigen Tret­schok anstelle des ver­dienten Fei­er­singer in den Kader zu nehmen, was er noch heute eine der schwie­rigsten Ent­schei­dungen seines Berufs­le­bens nennt.

Für einen guten Zweck.“

Aber jede seiner Maß­nahmen stellte sich als richtig heraus. Beim Hin­spiel gegen Man­chester bot er Tret­schok als zweite Spitze auf, prompt schoss der das Siegtor. Zum Finale gegen Juventus Turin setzte der Trainer Ricken zunächst auf die Bank. Das ärgerte zwar den Prä­si­denten, schob aber ein Ass in den Dort­munder Ärmel: Als die Ita­liener ihren Glücks­bringer ein­wech­selten, den Jung­star Ales­sandro Del Piero, und das Spiel nach seinem 2:1‑Anschlusstor zu kippen drohte, konnte Hitz­feld mit seinem eigenen Talisman reagieren. Als Rickens Heber aus 25 Metern ins Netz plumpste, war Juve besiegt, auch wenn Hitz­feld noch bis zum Abpfiff nervös an seinem Mantel fin­gerte. 

Was ist eigent­lich aus dem Mantel geworden? Ich habe ihn weg­ge­geben“, sagt Hitz­feld. Für einen guten Zweck.“